Anna nicht vergessen

Arno Geiger

Taschenbuch
Ausgabe vom 1. Juli 2009
Verkaufsrang: 22843 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 9783423137850
ASIN: 3423137851 (Amazon-Bestellnummer)
Anna nicht vergessen - Arno Geiger
Nach vier Romanen legt der Österreicher seinen ersten Band mit Erzählungen vor. Nach dem großen Erfolg von Es geht uns gut sind die Erwartungen an Arno Geiger hoch. Wer nach 250 Seiten eine Bilanz zieht, wird es zwiespältig tun. Die nach thematischen Abschnitten (Tage, Jahre, Leben) gegliederten zwölf Erzählungen offenbaren erhebliche Unterschiede in Sprache, Spannung und Dichte.
Überzeugend ist die "Doppelte Buchführung". Ein Arzt erinnert sich beim Ringen um das Leben eines zwölfjährigen Jungen an seine eigene Kindheit, vor allem an das Verhältnis zum Vater. Das ist gut beobachtet, eloquent geschrieben und mit dem Blick auf den Klinikalltag realistisch, kritisch, ironisch. Eine andere Geschichte, ein anderes Thema: Berichtet wird von einem Mann, der sich und die Frauen um den Verstand bringt. Per Telefon, Handy und E-Mail will er die totale Kontrolle über die Freundinnen, die er vorgibt zu lieben. Und das, da er schlecht schläft, über 24 Stunden und sieben Tage in der Woche. Diese Erzählung mit der schönen Überschrift: "Es rührt sich nichts" endet mit dem Scheitern des Kontrolleurs. Er hat nichts begriffen. Und der Leser ist erschöpft nach dieser Flut an Daten und Zeiten.
Mann und Frau, das alte, ewig neue Thema treibt den Erzähler Geiger an. Auch seine Varianten, warum sie nicht zueinander finden, sind ein Abbild der Wirklichkeit. Zuneigung und Liebe gibt es da, etwas Glück, aber Traurigkeit und Katastrophen sind nie fern. Manches ist gut zu lesen, mit gewissermaßen leichter Hand geschrieben. So testet in der Titel-Erzählung eine junge, attraktive Mutter im Auftrag von Ehefrauen die Treue der Männer, hat aber ihre liebe Not mit sich selbst und der eigenen Tochter. "Anna nicht vergessen", so mahnen daher die Merkzettel am Kühlschrank und im Bad. Zu den überzeugenden Stücken gehört auch der "Abschied aus Berlin". Ein in Beruf und Beziehungen erfolgloser Österreicher verlässt die Hauptstadt. Die letzte Nacht verbringt er allein auf der Gästecouch einer Kellnerin, die ihn aus Mitleid mitgenommen hat. Lukas, so heißt der Held, hat seine große Stunde, als er dem Klempner, der am nächsten Morgen den Abfluss repariert, detailliert berichtet, wie schön und erfüllt die Liebe mit der Frau sei, die noch todmüde im Bett liegt. Lukas erzählt seine Träume und trifft endlich einen Menschen, der ihm zuhört.
Den Leser erwarten aber auch Enttäuschungen. Ohne Ideenreichtum und Leichtigkeit etwa ist der Ferndialog per Tonband einer Frau zu einem abgetauchten Liebhaber, es sind die banalen "Neuigkeiten aus Hokkaido". Auf 16 Seiten wird das Inventarverzeichnis nach einem Hausbrand abgedruckt. Schade, hier hat der erwartungsvolle Leser gerade nach "Es geht uns gut" mehr erwartet. - Carsten Hansen, Literaturtest