Schneekönig: Mein Leben als Drogenboss

Ronald Miehling

Taschenbuch
Ausgabe vom 2. August 2004
Verkaufsrang: 11153 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 9783499237126
ASIN: 3499237121 (Amazon-Bestellnummer)
Schneekönig: Mein Leben als Drogenboss - Ronald Miehling
Vor vielen Jahren, als die Spesenbudgets der Magazin-Redaktionen noch groß und der Spaß am politisch Inkorrekten noch ein gesunder war, hat Helge Timmerberg mal für Tempo Kokain getestet. "Koks dreht alles und alle um - Freunde zu Vampiren, Sex zu S/M, Dialoge zu Monologen, Engagement zu Heuchelei", befand Timmerberg damals, nachzulesen in der grandiosen Reportagesammlung Tiger fressen keine Yogis. Aus dieser Zeit stammt ein gewisser Widerwille gegen Koksdealer, die sich eine goldene Nase verdienen, während ihre Kunden sich die eigene ruinieren.
Einer davon ist Ronald "Blacky" Miehling (Jg. 1950), der zwischen 1988 und 1994 zum größten Kokainhändler Hamburgs aufstieg, bevor er in Venezuela verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert wurde, wo er seither eine zwölfeinhalbjährige Haftstrafe absitzt. Als Timmerberg den "Schneekönig" kennen lernt, stimmt die Chemie freilich von Anfang an. Miehling hatte im Gefängnis Timmerbergs Buch gelesen und befunden: Dieser Mann muss meine Autobiografie schreiben. Auf 400 Manuskriptseiten hatte Miehling binnen eines Jahres sein bewegtes Leben festgehalten, Timmerberg sollte sie ins Reine schreiben.
Schnell entdeckt Timmerberg Parallelen in ihrer beider Leben: Die wichtigste davon heißt Abenteuerlust, nicht Geld, denn: "Das Geld war mir scheißegal. Ich meine das Geld an und für sich. Nicht scheißegal war mir hingegen die Geldbeschaffung. Das Abenteuer. Das Koksgeschäft", legt Timmerberg dem Polizistensohn Miehling in den Mund, "gehört zweifellos zu den sieben größten Abenteuern der Gegenwart."
Auf provozierend moralfreie Weise beschreiben Miehling und Timmerberg die Kooperation mit korrupten Zöllnern, Drogengeld in Plastiktüten, das Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei und wie man das Angenehme (Sextourismus) mit dem Nützlichen (Drogengeschäfte) verbindet. Doch die Lakonik des Autors ist nicht bloß auf tarantinosche Coolness-Effekte aus, sondern schlägt auch hin und wieder poetische Funken. "Wer den Knast schafft, lässt sich auch vom Paradies nicht unterkriegen, so was in der Art dachte ich, und dann zogen die Sterne auf und die Milchstraße machte mobil. Auch das gab mir zu denken. Für uns sehen Sternschnuppen ganz niedlich aus, aber vor Ort explodieren Planeten."
Seine Aufgabe sei es gewesen, "zwanzig Sätze in einen zu bringen", erklärt Timmerberg. Dazu musste er Miehlings sehr detailfreudige Erinnerungen freilich auf 159 Seiten eindampfen, also komplett neu schreiben. "Es ist seine Geschichte, aber mein Sound", sagt Timmerberg. Mit Blackys Jargon hatte der abenteuerlustige Reporter dennoch keine Probleme, schließlich hat er mit Leuten dieses Schlags "mehr Umgang als mit Intellektuellen." Zwanzig Jahre Kiezerfahrung in Hamburg kamen Timmerberg dabei zugute.
Herausgekommen ist "eine Mischfigur zwischen uns beiden" (Timmerberg), vielleicht etwas eleganter als der echte Blacky. In jedem Falle ist Schneekönig keine Kolportage, sondern eine Abenteuergeschichte, die auf einem echten Leben basiert, dabei aber nichts verklärt, sondern einfach sagt: je ne regrette rien. Weil sowas Lust auf mehr macht, hat Timmerberg schon eine Fortsetzung ins Visier genommen, die sich mehr mit den Konsequenzen des aufregenden Lebens beschäftigen wird: Isolationshaft und viele Jahre Freiheitsenzug. Auch Lebenszeit. -Axel Henrici