Ausweitung der Kampfzone

Michel Houellebecq

Taschenbuch
Ausgabe vom 1. November 2006
Verkaufsrang: 28299 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 9783499243394
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Ausweitung der Kampfzone - Michel Houellebecq
Jeder gegen jeden
"Wir sagen ja zur modernen Welt", konnte die Münchner Band Freiwillige Selbstkontrolle Anfang der 80er Jahre noch selbstironisch singen. "Ich liebe diese Welt nicht", wütet der namenlose Ich-Erzähler im Erstlings-Roman des Franzosen Michel Houellebecq, "ich liebe sie ganz entschieden nicht."
Die Stationen seiner Odyssee durch die Vorhölle der modernen Angestellten-Welt am Ende der 90er sind allerdings auch kaum geeignet, von dieser Haltung nur ein Quentchen abzurücken. Keine Hoffnung, nirgends: Der EDV-Spezialist einer Pariser Softwarefirma, jung, beruflich erfolgreich, zugleich bindungslos und depressiv, protokolliert mit bösem Röntgenblick eine Gesellschaft, die pausenlos plappernd leerläuft. Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, der sich mehr und mehr in einen Kriegsschauplatz verwandelt. Sex stellt für Houellebecq in diesem Kampf jeder gegen jeden nur ein "zweites Differenzierungssystem" dar, das zwar vom ökonomischen abgekoppelt, aber "mindestens ebenso erbarmungslos" funktioniert: "Die Unternehmen kämpfen um einige wenige Jungakademiker; die Frauen kämpfen um einige wenige junge Männer; die Männer kämpfen um einige wenige Frauen. Das Maß an Verwirrung und Aufregung ist beträchtlich."
Der Frontberichterstatter Houellebecq weiß nur zu gut, daß die herkömmliche Form des Romans nicht geeignet ist, die Indifferenz oder das Nichts zu beschreiben, und folglich geht es ihm auch nicht darum, sein Talent mit "sublimen Beschreibungen verschiedenartiger Seelenzustände" zu vergeuden. Film noir statt Eric Rohmer: Wenige Episoden, skizzenhaft hingeworfen, reichen aus, um am Ende der Versuchsanordnung ein vernichtendes Urteil zu sprechen: "Das Lebensziel ist verfehlt." Mit diesem Wissen, ahnt man, geht es jetzt noch 20, 30, 40 Jahre weiter, bis zum Ende. Die Hoffnung, jemals rettendes Ufer zu erreichen, ist dahin.
Zugegeben, manchmal verwechselt der angry young man vor lauter Böse-Sein-Wollen auch die Provokation mit deren Attitüde. Dennoch: Mit sparsamsten Mitteln, auf wenig mehr als 150 Seiten, gelingt Houellebecq ein eindrucksvolles, wiewohl reichlich desillusionierendes Psychogramm unserer Verlorenheit, unseres Selbstbetrugs und unserer unstillbaren Manie, glücklich sein zu wollen. Literatur, schrieb Kafka, sei die Axt für das gefrorene Meer in uns. Houellebecq, am Ende des Jahrhunderts, hantiert mit Sprengsätzen. -Niklas Feldtkamp