Die Verachtung der Massen: Versuch über Kulturkämpfe in der modernen Gesellschaft (edition suhrkamp)

Peter Sloterdijk

Taschenbuch
Ausgabe vom 27. März 2000
Verkaufsrang: 50011 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 9783518065976
ASIN: 3518065971 (Amazon-Bestellnummer)
Die Verachtung der Massen: Versuch über Kulturkämpfe in der modernen Gesellschaft (edition suhrkamp) - Peter Sloterdijk
Eine gernzitierte Parole von Marx umspielend, schreibt Peter Sloterdijk in seinem Essay: "Die Philosophen haben den Gesellschaften nur verschieden geschmeichelt; es kommt darauf an, sie zu provozieren". Seine Provokation sieht er darin, die Kulturkämpfe in modernen Gesellschaften nicht als religiösen oder sozialen Konflikt zu deuten. Vielmehr liegt dem neuzeitlichen Konfliktgeschehen die tieferliegende, von der "Schmeichelsoziologie" verschleierte Problematik zugrunde, wie Unterschiede zwischen Menschen zu deuten und zu legitimieren sind.
Herkömmlichen Sozialphilosophien sei es noch nicht einmal gelungen, diese Frage zu formulieren: Wie auf egalitaristischen Prämissen fundierte Gesellschaften Differenzen integrieren können, nachdem im Verlauf ihrer Geschichte alle gefundenen zu gemachten Unterschieden umgewertet und damit eingeebnet wurden. Ist das wirklich ein Problem der modernen Gesellschaft oder nicht vielmehr die Dauerobsession konservativer Kulturkritiker?
Die Provokation erweist sich jedenfalls als pointenlos. Denn im letzten Abschnitt legt der Autor ohne den für ihn typischen Stilisierungswillen offen, was ihn wirklich umtreibt: Die bildungsbürgerliche Sorge über die moderne Vermassung. Sein Essay fällt daher letztlich dem Paradox aller konservativen Kulturkritik zum Opfer. Wie der empörte Studienrat, der Eliten fordert und doch selbst, griffen die von ihm herbeigeschwatzten Selektionsmechanismen, gnadenlos ausrangiert würde, so sind Kulturkritiker nur selten die Ausnahme, für die sie sich halten. Auch wenn Sloterdijk vorgibt, "durch Maßnehmen am Bewundernswerten nicht ganz die Höhe zu verlieren", sind ihm die Maßstäbe nüchterner Selbsteinschätzung längst abhanden gekommen. Er wiederholt das Elend einer Kulturkritik, die nur selten mehr als die nichtigen Produkte jener Einheitskultur hervorbringt, über die sie sich erhaben dünkt.
Die Mischung aus Distinktionsbedürfnis und selbstquälerischer Lust an der eigenen Subalternität, also aus Kälte und Sentimentalität ("freiwilliges Leiden an den Werken, die wir selbst nicht hervorzubringen vermöchten"), kennzeichnet, wie wir seit Nietzsche wissen, einen pathologischen Grundzug des Bildungsphilisters und seines sterilen Verhältnisses zu dem, was er als das "Außerordentliche" zu verherrlichen pflegt. Peter Sloterdijk, der das psychologisierende Aperçu schätzt, sollte daran erinnert werden. -Jens Kertscher