Das Muschelessen

Birgit Vanderbeke

Buch, Taschenbuch
Ausgabe vom 1. Nov. 1997
Verkaufsrang: 18165 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 9783596137831
ASIN: 3596137837 (Amazon-Bestellnummer)
Das Muschelessen - Birgit Vanderbeke
Wer einmal wirklich alle Klischees eines widerwärtigen Familienvaters kennenlernen will, der greife zum schmalen Band Das Muschelessen. Mutter, Tochter und Sohn warten bei einem Berg Muscheln auf die Rückkehr des Vaters. Die achtzehnjährige Tochter beschreibt in einem hundertseitigen Gedankenfluß - so ungefähr jeder zweite Punkt am Ende eines Satzes fehlt - das bisherige Familienleben, Schwerpunkt Vater. Ihre Formulierungen sind eher einer vierzehnjährigen angemessen. Je weiter ihre Überlegungen fortschreiten, desto gräßlicher wird das väterliche Ungetüm. Aus dem trauten Familienkreis wird ein schreckliches Disastergemälde. Man frägt sich, warum die übrigen Familienmitglieder das abscheuliche Gebaren soviele Jahre zugelassen haben.
Die Handlung am Abend ist spärlich, umso aufregender, mit geschickter Steigerung der Spannung erleben wir die skizzierten Ereignisse davor.
Nicht die Familie wird demontiert, wie die tageszeitung im Klappentext meint, sondern der tyrannenhafte Familienvater, der jahrelang seine Familie ohne erkenntlichen Widerspruch drangsalierte. So besehen kann diese Erzählung nicht realistisch gemeint sein. In der Palette der schlechten Eigenschaften findet wohl jeder männliche Leser ein paar, die auch auf ihn zutreffen; sicher ist aber niemand dabei, auf den viele zusammenfallen: so ein Scheusal würde kein Buch lesen.
Der Stil wie in Ludwig Thomas Lausbubengeschichten wäre mir nach mehr Seiten auf den Geist gegangen. Mit 109 Seiten endete die Erzählung aber rechtzeitig mit einer Überraschung. Ein vergnüglicher Lesenachmittag. Empfehlenswert. -Herbert Huber
Als noch unveröffentlichte Autorin bekam Birgit Vanderbeke 1990 für einen Auszug aus Das Muschelessen den Ingeborg-Bachmann-Preis. Aus demselben Jahr stammt auch diese Lesung des Gesamttextes. Und wenn man die nun mehr als ein Jahrzehnt später hört, begreift man, dass die Autorin den ersten Preis beim Klagenfurter Wettlesen nicht zuletzt für ihre beeindruckende und stimmige Vortragsweise erhalten hat. Noch eines wird klar: Das Muschelessen ist ein typisches Beispiel für einen Text, den man hören muss, dessen mäandernder Sprachfluss und das bisweilen an Thomas Bernhard erinnernde beharrliche Einkreisen seines Themas erst durch Artikulation und passenden Tonfall volle Wirkung entfaltet.
Bereits bei dieser frühen Erzählung begegnet einem der typische Vanderbeke-Stil, den man inzwischen auch in Alberta empfängt einen Liebhaber oder Ich sehe was, was du nicht siehst genießen konnte: Mit einer Mischung aus Einfachheit und raffiniert-rhythmischer Komposition wird hier der zeitlupenhafte Zusammensturz einer Familienscheinharmonie zelebriert - in einer Art, die weit entfernt ist von jeder Betroffenheitsprosa.
Spieldauer: 169 Minuten, ungekürzte Lesung, 3 CDs. Erhältlich als MC und CD -Christian Stahl