Nichts als Gespenster

Judith Hermann

Buch, Broschiert
Ausgabe vom 20. April 2004
Verkaufsrang: 43995 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 9783596157983
ASIN: 3596157986 (Amazon-Bestellnummer)
Nichts als Gespenster - Judith Hermann
Mit dem Erfolg kommen die Ansprüche. Das musste auch Judith Hermann erfahren und ließ Kritiker und Leser über vier Jahre auf ein zweites Buch warten. Aber das Warten hat sich gelohnt: Wem Sommerhaus, später gefallen hat, wird von den neuen Erzählungen dieser Meisterin der gepflegten Schwermut begeistert sein. In sieben Variationen ihres Lieblingsthemas der unglücklichen Liebe und der allgemeinen Verlorenheit im Leben schickt Judith Hermann ihre Figuren in die Welt hinaus, obwohl den meisten das Reisen so suspekt ist wie der jungen Frau aus "Aqua Alta": "Zwei oder drei Tage vor dem Beginn einer Reise werde ich ängstlich, ohne Grund, alles scheint mir sinnlos, die Ferne, die Fremde, die Kontinente nicht anders als jeder Blick aus meinem Fenster, vier Wochen in einem unbekannten Land, wozu, denke ich, was soll da anders sein und was soll es mir nützen..."
Venedig, Prag und Karlsbad, die Wüste Nevadas, Island oder das Norwegen nördlich des Polarkreises - in sämtlichen Erzählungen wird die gewohnte Umgebung hinter sich gelassen, und sei es auch nur eine Fahrt in die deutsche Provinz, wohin die Icherzählerin aus "Ruth (Freundinnen)" reist und sich in den Geliebten der besten Freundin verknallt. Nichts als Gespenster - gespenstisch wirken die Hermann'schen Figuren tatsächlich oft, in ihrer Orientierungslosigkeit und Indifferenz, mit der sie durch ihr Dasein laufen.
Inhaltlich und stilistisch setzt die junge Berlinerin, die Sommerhaus, später mit einem Schlag zur erfolgreichen und gefeierten Autorin machte, auf das gleiche Pferd. Warum auch nicht. Andererseits hat sie sich durchaus weiter entwickelt: Ihre Geschichten sind länger (bis zu 60 Seiten) und durch den häufigen Einsatz unterschiedlicher Zeitebenen komplexer geworden. Und selbst einzelne Momente der Seeligkeit gönnt sie ihren Figuren nun hin und wieder, wie am Ende von "Die Liebe zu Ari Oskarsson", der letzten der sieben durchweg gelungenen Erzählungen: "... und wir legten die Köpfe in den Nacken und sahen das Nordlicht an, ins All geschleuderte Materie, ein Haufen heißer Elektronen, zerborstene Sterne, was weiß denn ich. "Und bist du jetzt glücklich?" sagte Owen atemlos, und ich sagte "Sehr." -Christian Stahl

Judith Hermann, seit ihrem Erzählband "Sommerhaus, später" von der Literaturkritik zur bedeutendsten deutschen Autorin erkoren, liest aus ihrem neuen Erzählband "Nichts als Gespenster". Sie trägt drei der insgesamt sieben Liebesgeschichten vor: Betont unprätentiös, schlicht, lakonisch, im immer gleichen Rhythmus. Eine Autorenlesung, in der die Stimme den Inhalt passend transportiert.
Die Protagonisten dieser Storys sind alle auf der Suche nach sich selbst. Zu diesem Behufe reisen sie viel. Und auf diesen Reisen ist ihre Wahrnehmung geschärft, sie verfügen über eine genaue, detaillierte Beobachtungsgabe. In ihrem Leben passieren keine aufsehnerregenden Dinge; trotzdem sind es Leben, die es wert sind, gelebt zu werden. Gerade weil der Zufall eine so große Rolle spielt. In allen drei Geschichten lösen Momentaufnahmen, Augenblicke oder Sätze die weitere Entwicklung aus.
In der ersten "Ruth" genannten Erzählung steht am Anfang der Satz "Versprich mir, dass Du niemals etwas mit ihm anfangen wirst." Und genau das passiert, obwohl sich die beiden engsten Freundinnen niemals für die Männer der anderen interessiert haben. Die Ich-Erzählerin reist nach Paris, und denkt doch nur an Raoul, den Mann, in den sich Ruth, die beste Freundin, unsterblich verliebt hat. Er ist für sie ein Versuch, etwas über das eigene Ich zu erfahren, eventuell über ihn etwas Festes im Leben zu erlangen. Nach dem schnellen Ende der Begegnung denkt sie über den von Raoul geäußerten Satz "Bis Du die, für die ich Dich halte?" lange nach.
In "Nichts als Gespenster" begegnen Ellen, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, und Felix, ein nicht ganz glückliches Paar aus Berlin, in einer Bar in Austin Buddy. Die beiden Deutschen reisen drei Monate lang von der Ost- zur Westküste. Buddy hat Austin bis auf ein einziges Mal nie verlassen. Er ist da geboren, verheiratet, hat einen kleinen Jungen. Seine unachtsame Bemerkung "Wir wüssten nicht, wie es ist, für ein Kind Turnschuhe zu kaufen ..." wird für Ellen, Felix und das Kind, zurück in Berlin, eine große Bedeutung haben. Eine flüchtige Begegnung ? nichts als Gespenster.
Judith Hermann, 1970 geboren, hatte mit ihrem Debüt-Erzählband einen fulminanten Erfolg: 250.000 mal wurde "Sommerhaus, später" verkauft. Das Übermaß an Lob, das ihr zuteil wurde, hat sie schier erdrückt. Nach einer Zeit des Sammelns, und nachdem sie jetzt ein Kind hat, veröffentlichte sie nach vier Jahren ihr zweites Buch. "Nichts als Gespenster" ist wieder eine Hommage an die winzigen Momente, an das Genre der Erzählung und an Autoren wie Raymond Carver und Alice Munro. Autorenlesung, Spieldauer: ca. 195 Minuten, 3 MC. Auch als CD erhältlich. - culture.text