Briefwechsel 1949-1975

Ernst Jünger, Martin Heidegger

Buch, Gebunden
Ausgabe vom April 2008
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Briefwechsel 1949-1975 - Ernst Jünger, Martin Heidegger
Dieser bisher unveröffentlichte Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Martin Heidegger geht hervor aus Gesprächen der Nachkriegszeit über ein großangelegtes Zeitschriften-Projekt, an dem neben Jünger und Heidegger, Gerhard Nebel, Friedrich Georg Jünger und Werner Heisenberg beteiligt sein sollten. Ein Vorhaben, das nicht verwirklicht wurde, und das doch einen schriftlichen Austausch zwischen den beiden Autoren initiierte, der bis zum Tod Heideggers dauerte.
Neben der Organisation des schriftstellerischen Lebens, den Publikationen und öffentlichen Reaktionen auf sie, den Einladungen und polemischen Einwürfen gegen den Zeitgeist sind es vor allem Betrachtungen zur Sprache, denen dieser Austausch gilt. Die Verflachung unseres Sprachgebrauchs durch Spezialisierung, der Wert der (rapide verschwindenden) Dialekte, die Rolle der Sprache als Erkenntnismittel, die Sprachphilosophie Rivarols - das sind einige der wichtigen Stichworte dieser Dokumente.

Zusätzlich aufgenommen in diesen Band sind die Festschrift Jüngers zu Heideggers 60. Geburtstag,"Über die Linie", Heideggers Aufsatz"Zur Seinsfrage"und die Texte des Bändchens"Federbälle"- Sprachnotizen, von Jünger dem Philosophen zum 80. Geburtstag als Privatdruck gewidmet.


Flugwild wird mit mehr oder minder glücklichen Treffern zur Strecke gebracht, oft nur gestreift. Unter schattenhaften Verwandlungen lebt es in der Sprache fort."

Mit dieser Adnote, wie Ernst Jünger selbst diese kleinen Gedanken bezeichnete, beginnen die 'Federbälle', eine Sammlung von Bruchstücken kluger Gedanken und Gedankengedanken über die Sprache, wie sie bei einem so produktiven Autoren wie Jünger zuhauf anfielen. Ernst Jünger widmete den ersten Teil der Notizen Martin Heidegger zum 80. Geburtstag und fasste sie in einem kleinen Privatdruck zusammen. Jünger wollte sich damit bei Heidegger bedanken, dem er viel zu verdanken hatte, was den Zusammenhang von Sprache und Bewusstsein betrifft. Die 'Federbälle' bilden neben Über die Linie und Zur Seinsfrage den zweiten Teil des von Klett-Cotta erstveröffentlichten Briefwechsels zwischen Ernst Jünger und Martin Heidegger.

Beiden Autoren war permanent präsent, dass die Sprache, ihre Sprache ihr Bewusstsein bestimmt. Diese so banal klingende Aussage ist in ihrer Auswirkung von ungeheurer Bedeutung. Denn wir sind, was wir denken. Anders ausgedrückt: Unser Bewusstsein kann nicht über unseren Wortschatz hinausreichen. Das was wir nicht mehr beschreiben können, kann für uns letztlich nicht existent sein. Jünger fasste dies in die schöne Formel: "Es wird immer solche geben, die meinen, wenn sie nicht weiter können, die Sprache sei erschöpft."

So befassen sich viele der Adnoten Jüngers mit dem Verfall der Sprache, dem Verlust von Worten, Dialekten, Schreib- und Sprechweisen. Das Verhältnis zwischen Sprache und Bewusstsein ist dabei Fokus des Austausches der beiden vermutlich bedeutendsten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Er umfasst im Buch knapp 100 Seiten. Günter Figal weist im Nachwort darauf hin, dass nicht alle Korrespondenz erhalten ist. Auf die Lücken weist die Korrespondenz selbst hin, wenn einer der beiden sich auf ein Schreiben bezieht, welches nicht abgedruckt ist. Günter Figal, Professor für Philosophie an der Universität Freiburg hat den Briefwechsel herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen. Seine Kommentierung ist knapp, sie unterlässt den Fehler voriger Briefwechsel mit Ernst Jünger, jedwedes Faktum, quasi lexikalisch erläutern zu wollen, was zum Ergebnis hatte, dass manch Anmerkungsapparat den Umfang der Korrespondenz einnahm. Dies schien mehr dem Ego der Herausgeber geschuldet als einem Sinn.

Unser Sprachschatz bemisst nicht nur den Rahmen unseres Denkens. Auch unser soziales Verhalten und damit das äußere Leben wird durch unsere Äußerungsfähigkeit abgesteckt. Jünger geht in seinen Notizen, die wie Federbälle in reger Ergänzung auch der Briefe hin und her fliegen, immer wieder auf die dandyistischen Gepflogenheiten im 19. Jahrhundert ein. Das ironische Sprachspiel, gewürzt mit intelligenten Wortspielen diente in den Salons als Erkennungssigel der Dandys untereinander und war zugleich ein intellektuelles Duellieren. So lässt sich Jünger von Heidegger eine Maxime Rivarols übersetzen und stellt ihm gegenüber seine eigene Übersetzung zur Disposition. Der Austausch der beiden Großgeister in diesem Punkt ist einer der Höhepunkte der Korrespondenz. Jünger, der Dandy im Forsthaus, war seit den 1920er Jahren fasziniert von dieser sozialen Ausnahmefigur, die scheinbar mitten im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens steht, tatsächlich aber ein tief-reflektiertes vivre masqué führt.

Jünger hatte früh die legendäre Schrift von Barbey d'Aurevilly studiert, die im späteren 20. Jahrhundert mit seinem Wissenschaftswahn nicht mehr ernstgenommen wurde, jedoch den Urdandy Beau Brummell treffend charakterisiert. Nach Barbey sei es nicht die Kleidung, die Brummell zum first gentleman of europe habe avancieren lassen. Seine Gesprächskunst wäre wichtiger gewesen: "Er war im Gespräch so beißend wie Hazlitt in seinen Schriften. Seine Worte gingen wie Nägel durchs Fleisch, aber in seiner Unverschämtheit war zu viel Breite, als dass sie sich verdichten, sich in Epigrammen hätte sammeln können. Von den geistreichen Worten, die sie verlauteten, ließ er seine Impertinenz übergehen in seine Handlungen, seine Haltung, seine Bewegungen, den Ton seiner Stimme. Und er übte sie mit der unanfechtbaren Überlegenheit, die in der guten Gesellschaft ihre Zulässigkeit überhaupt bedingt; denn sie streift die Grobheit wie das Erhabene das Lächerliche, und wenn sie aus der Nuance fällt, hat sie ausgespielt. Immer halb verhüllt, wie sie ist, bedarf die Unverschämtheit nicht der Worte, sich durchzusetzen; sie verschmäht jede Stütze und hat doch eine viel durchdringendere Wirkung als ein noch so glänzend gefeiltes Epigramm. Dem, der sie besitzt, ist sie der denkbar sicherste Schutz gegen die oft so feindselige Eitelkeit der anderen, und um wiederum die tief bewusste eigene Schwäche zu verbergen, eine Hülle, wie sie kleidsamer nicht gerafft werden kann. Wer über sie verfügt, was braucht der sonst?"

Heute, in Zeiten suggerierter sozialer Indifferenz, ist die Kunstfertigkeit in Gespräch und Konversation essenzieller Ausweis des tatsächlichen persönlichen Status. Wohlstand zu präsentieren, wirkt zunehmend peinlich.

Der Verlag hat durch die Zusammenführung der Korrespondenz mit den Großessays Jüngers, die er Heidegger widmete, ein umfassendes Buch geschaffen, das sozusagen den Heidegger Jüngers repräsentiert. Als Ergänzung wünschenswert gewesen wäre noch eine Darstellung über das persönliche und intellektuelle Verhältnis dieser beiden großen Einzelgänger im Denken. Sicher, so eine Darstellung muss immer ein Versuch bleiben und Klett-Cotta und Vittorio Klostermann taten gut daran, psychologisierende Deutungsversuche zu unterbinden. Dennoch fehlt diesem Buch eine Annäherung an das, was man als biographische Treffpunkte beider und als geistige Synergie bezeichnen könnte. Figal beschränkt sich im Nachwort leider auf die Auskunft, wann und wie sich die Dichter-Philosophen kennengelernt haben.