Abrahams Sohn

Gilles Rozier

Buch, Gebunden
Ausgabe vom 26. Febr. 2007
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Abrahams Sohn - Gilles Rozier
Gilles Rozier Abrahams Sohn Aus dem Französischen von Claudia Steinitz Sharon mochte diese Zeit des Monats nicht; die Aussicht, Leben zu schenken, verströmte, man musste sich weiße Tücher in den Schritt stopfen und sich von den Männern fernhalten. Zwölf Tage würde sie unrein sein, fünf Tage Regel und sieben dazu, darauf kommt's nicht an, dann würde sie ins Bad gehen; die Balanit würde kontrollieren, dass kein Blut mehr die weiße Baumwolle befleckte, würde den Stoff in ihr Geschlecht drücken, als wollte sie einen Rest Weinhefe aus einem Flaschenhals wischen. Sharon hatte schon ein paar Mal nachgeprüft, aber so war es eben, ein Ritual, man musste ihm Genüge tun, sich von dieser Frau penetrieren lassen, die die halbe Stadt inspizierte. Sharon würde sich an diesen Tagen ihres Lebens, die so hartnäckig wiederkehrten, von den Männern fernhalten.Sie würde in diesem Monat kein Kind empfangen. Seit ihrer Scheidung, zu Sukkot wurden es vier Jahre, hatte sie keinen Verkehr mehr gehabt. Sie hatte einen Sohn gehabt, er war tot. Die anderen Jungen in seinem Alter wollten keinen Armeedienst leisten, stattdessen studierten sie die Thora, nutzten das Recht, das der Staat ihnen zugestand. Ihr Sohn Eli hatte gesagt Ich gehe zur Armee und dann in die Talmudschule.Nach Eli hatte Sharon kein Kind mehr bekommen. Sie wusste nicht warum, war nicht zum Arzt gegangen, wozu auch? Wenn sie kein Leben mehr schenken sollte, konnte die Medizin auch nichts tun. Sharon hatte eine Bestimmung: ein einziges Kind. Eli genügte ihr. Ihr Mann hätte gern acht oder zehn Kinder gehabt, aber Sharons Körper hatte entschieden. Der Eifer des Ehemanns blieb ohne Folgen. Jahrelang erwartete sie voller Freude das Blut, das ihr an den Beinen hinabrann, wenn sie nicht Acht gab, der Beweis, dass ihr Körper aufs Gebären verzichtete und dass Eli der einzige bleiben würde. Fröhlich hüpfte sie einmal im Monat ins rituelle Bad. Nach der Periode der Unreinheit kam der Mann seiner Pflicht nach, ein paar hastige Stöße bis zum Erguss, Sharon war eine leicht einnehmbare Festung. Sie genoss diesen Moment; nicht, dass sie ihren Mann liebte, aber sie mochte den Augenblick der Penetration, den fremden Körper, der in sie eindrang. Am Anfang fürchtete sie, schwanger zu werden, aber sie erkannte schnell, dass ihr Körper die Sache im Griff hatte, er nahm den Samen auf, ohne etwas daraus zu machen, ließ ihn ruhen, bis das Blut floss und dann wieder weiße Lappen, wieder berühre ich meinen Mann zwölf oder dreizehn Tage nicht, wieder gebe ich ihm das Salz nicht direkt, wieder wartet er, bis ich es auf den Tisch stelle, ehe er es nimmt, wieder schlafen in wir getrennten Betten und wieder frisst es an ihm, je länger und länger das geht, und wieder bin ich dran, wenn ich aus dem Bad komme, und ich liebe es, ihn liebe ich nicht, aber das ist nicht so schlimm.