Psalm 51 / Stabat Mater

Thomas Hengelbrock

Musik-CD, Audio CD
Ausgabe vom 30. Oktober 2000
Verkaufsrang: 26028 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 0054727750823
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Psalm 51 / Stabat Mater - Thomas Hengelbrock
Die Adaption von Werken aus der eigenen Produktion oder aus fremder Hand, ihre Umtextierung und mehr oder weniger umfangreiche Bearbeitung war ein wichtiger Bestandteil des Handwerks barocker Komponisten. Bereits in der Ausbildung lernte man die Kunst des Komponierens durch das Kopieren von Stücken anderer Komponisten. Später verwendete man bereits existente Stücke einerseits aus Gründen der Zeitersparnis, andererseits aber auch aus Interesse und Freude am Stil anderer Meister. Plagiatsprozesse waren nicht zu befürchten, denn Musik war durch keine Verwertungsgesellschaft geschützt und niemand stieß sich an der verbreiteten Praxis des "Parodierens" - so lautet der etwas unglücklich gewählte Fachterminus -, wenn der Bearbeiter nicht allzu plump und fantasielos vorging oder sich in unlauterer Absicht mit fremden Federn schmückte.
Einer der ganz großen Könner des Parodieverfahrens war Johann Sebastian Bach. Bewundernswert sind seine Wiederverwertungen eigener Vorlagen innerhalb der geistlichen Musik, denn mit wenigen musikalischen Kunstgriffen gelingt es ihm, die bereits vorhandene Musik vollkommen überzeugend einem neuen Text anzupassen. Niemals ging Bach dabei unüberlegt oder oberflächlich vor. Mit derselben Meisterschaft nähert er sich dem "Stabat mater" des 1736 mit 26 Jahren verstorbenen Giovanni Battista Pergolesi. Zweifellos hat den für Neues stets aufgeschlossenen Thomaskantor dieses in einem für die damalige Zeit modernen italienischen Stil komponierte Werk interessiert, aber in der evangelischen Liturgie ist für die Sequenz "Stabat mater dolorosa" kein Platz. Daher musste ein neuer Text unterlegt werden, und Bach traf mit einer deutschen Übertragung des 51. Psalms "Tilge, Höchster, meine Sünden" eine glückliche Wahl. Allein die vielen Kongruenzen, die sich ganz zwangslos zwischen der beziehungsweise in ihrer Satzfolge kaum veränderten Musik Pergolesis und dem sicher sorgsam ausgewählten und angepassten neuen Text ergeben, sind erstaunlich. Noch faszinierender sind jedoch Bachs behutsame Eingriffe in Pergolesis Partitur, wenn es etwa gilt, Passagen zu diminuieren, um mehr Text unterzubringen. Weiterhin fügt Bach an vielen Stellen Stimmen ein oder gibt durch kleine Modifikationen neue rhythmische Impulse. Zur vollen Würdigung dieser Parodie-Leistung empfiehlt es sich, Pergolesis Original vergleichend heranzuziehen.
Thomas Hengelbrock und sein Ensemble erfreuen den Hörer auch auf dieser CD wieder durch präzises, klangschönes und lebendiges Spiel, das die Motorik der Musik, stets vor dem Hintergrund des Textes, in erfrischender Weise umsetzt, ohne überartikuliert zu sein. Hingegen kann der Countertenor Michael Chance leider nicht vollkommen überzeugen: Die gebündelte Energie und Strahlkraft, die seine Stimme früher auszeichnete, scheint mittlerweile leider etwas ermattet. Auch Maya Boogs Tonproduktion ist bei insgesamt schöner Gestaltung nicht immer ganz ausgewogen, und es ist schade, dass das hervorragende Gesamtbild der Aufnahme durch die beiden Hauptprotagonisten ein wenig getrübt ist. -Michael Wersin