Was tun, wenn's brennt?

Til Schweiger, Doris Schretzmayer, Martin Feifel

DVD
Ausgabe vom 3. September 2002
Verkaufsrang: 16879 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 4030521330368
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Was tun, wenn's brennt? - Til Schweiger, Doris Schretzmayer, Martin Feifel
13 Jahre sind vergangen, seit Tim TIL SCHWEIGER, Flo DORIS SCHRETZMAYER, Maik SEBASTIAN BLOMBERG, Hotte MARTIN FEIFEL, Nele NADJA UHL und Terror MATTHIAS MATSCHKE in kreativer Anarchie in der Hausbesetzerszene von Berlin aktiv waren und dem Establishment den gestreckten Mittelfinger entgegenreckten. Inzwischen sind fast alle ihren Idealen von damals untreu, einige sogar selbst Teil des einst verhassten Establishments geworden. Doch als ein längst vergessener Sprengsatz, den sie einst in einer verlassenen Villa im Grunewald deponiert hatten, unerwartet explodiert, müssen sich die Sechs notgedrungen wieder mit ihrer verdrängten Vergangenheit und verlorenen Werten auseinandersetzen ...

"Das Timing muss stimmen!" Da dieser Satz aus einem Agitprop-Film der Gruppe 36 im gleichen Maße für Komödien wie für Sprengsätze gilt, kann eine Bombenexplosion zum falschen Zeitpunkt in Gregor Schnitzlers Was tun, wenn's brennt? zum idealen Ausgangspunkt für eines der interessantesten deutschen Spielfilmdebüts der letzten Jahre werden. In den 80er-Jahren haben die sechs der Berliner Hausbesetzerszene angehörenden Mitglieder der Gruppe 36 eben nicht nur filmische Anleitungen zum Bau von Bomben gedreht - Holger Meins' aus den späten 60er-Jahren stammender Kurzfilm über die Herstellung eines Molotowcocktails lässt erkennbar grüßen -, sondern selbst auch welche gebastelt. Als nun zu Beginn des 21. Jahrhunderts einer ihrer damals deponierten Sprengsätze mit fast 15 Jahren Verspätung in einer Grunewalder Villa hochgeht, holt ihre Vergangenheit die inzwischen meist bürgerlich gewordenen Ex-Hausbesetzer und Anarchisten ein.
Eine der unbestrittenen Stärken Hollywoods ist seine Fähigkeit, große Unterhaltungs- und Genrefilme zu produzieren, die uns in eine fremde Welt entführen und uns zugleich aber auch etwas über die Welt erzählen, in der wir leben. Das deutsche Kino hat - sieht man einmal von einigen ganz wenigen Regisseuren ab - diese Fähigkeit schon vor langer Zeit verloren. Selbst während des Booms der 1990er-Jahre blieb diese von Filmemachern wie Kritikern, Verleihern wie Publikum konstruierte Trennung, die zwischen einem reinen Unterhaltungskino und dem so genannten Autorenfilm unterscheidet, weit gehend unangetastet. Erst in der letzten Zeit haben so unterschiedliche Regisseure wie Volker Schlöndorff und Oskar Roehler, Christopher Roth und Oliver Hirschbiegel ernsthaft versucht, diese beiden Formen von Filmen, die sich eben gar nicht widersprechen müssen, wieder zusammenzuführen. Ihrem Vorbild ist Gregor Schnitzler mit seinem Erstling gefolgt.
Man spürt in nahezu jeder Einstellung und jedem Schnitt von Was tun, wenn's brennt?, dass sein Regisseur zuvor Werbeclips und Musikvideos inszeniert hat. Ihre Ästhetik und ihr Tempo sind hier aber nicht nur Selbstzweck, sie spiegeln das neue Berlin, das kaum noch etwas mit der Stadt verbindet, in der die Mitglieder der Gruppe 36 einst von einer anderen, besseren Welt geträumt haben. Und so wie sich Berlin verändert hat, sind auch die Sechs längst nicht mehr die, die sie einst waren: Maik (Sebastian Blomberg), der nun seine eigene schicke Werbeagentur hat; Nele (Nadja Uhl), die sich als allein erziehende Mutter zweier Kinder durchschlägt; "Terror" (Matthias Matschke), der jetzt als Staatsanwalt auf der anderen Seite steht; Flo (Doris Schretzmeyer), die irgendwie zu Geld gekommen ist. Von Idealen und Träumen haben sie sich weit entfernt. Selbst Tim (Til Schweiger), der letzte authentische Punk Berlins, und der seit einem Unfall an einen Rollstuhl gefesselte Hotte (Martin Feifel) leben nur noch so wie damals, weil sie den Absprung irgendwie verpasst haben. Von ihrem Glauben und ihren Überzeugungen ist zumindest in ihrem Innersten kaum noch etwas übrig.
Im Prinzip erzählt Gregor Schnitzler hier die alte Geschichte von den Idealisten, die sich mit der Zeit dem Lauf der Dinge gefügt haben und nun an einem Punkt in ihrem Leben angekommen sind, um den sie eigentlich einen großen Bogen machen wollten. Sein eigentlicher Schachzug ist aber, dass er sie in Beziehung setzt zu den gesellschaftlichen Veränderungen, in deren Gefolge aus der alten BRD die heutige Berliner Republik geworden ist. Auch wenn sich Schnitzlers Blick anscheinend nur auf den Westen der Stadt richtet, erzählt Was tun, wenn's brennt? doch mehr von unserer gesamtdeutschen Wirklichkeit als die meisten Filme. Schnitzler führt zwar nicht jeden seiner Gedanken aus, und einiges bleibt auch etwas plakativ, aber diese kleinen Schwächen gleicht sein hervorragendes Ensemble - allen voran Sebastian Blomberg, Til Schweiger, der hier auf beeindruckende Weise gegen sein Image anspielt, und Martin Feifel - allemal aus. -Sascha Westphal