Die bitteren Tränen der Petra von Kant

Irm Hermann, Margit Carstensen, Hanna Schygulla

DVD
Ausgabe vom 4. September 2002
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EAN/ISBN: 4020974149549
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Die bitteren Tränen der Petra von Kant - Irm Hermann, Margit Carstensen, Hanna Schygulla
In den 13 Jahren, in denen seine Fernseh- und Kinofilme entstanden sind, hat Rainer Werner Fassbinder zugleich immer auch noch an verschiedenen Bühnen in Deutschland gearbeitet und dort eigene genauso wie fremde Stücke inszeniert. Einige dieser Theaterarbeiten hat er dann später selbst verfilmt. So basiert neben seinem zweiten Film Katzelmacher auch das 1972 entstandene Melodrama Die bitteren Tränen der Petra von Kant auf einem von ihm geschriebenen Stück, das er 1971 bei der Experimenta in Frankfurt uraufgeführt hat. Doch während Katzelmacher mit seinen wechselnden Schauplätzen die Spuren seiner Entstehung etwas zu verwischen scheint, betont Fassbinder bei seiner Umsetzung von Petra von Kant den Ursprung des Stoffes ganz bewusst und lässt uns nie vergessen, dass wir hier Kino gewordenes Theater sehen.
Die Modeschöpferin Petra von Kant (Margit Carstensen) lebt nach der Scheidung von ihrem Mann alleine mit ihrer die ganze Zeit über stumm bleibenden Dienerin Marlene (Irm Hermann) in einer großbürgerlichen Wohnung zusammen. Getrieben von ihren emanzipatorischen Vorstellungen kritisiert sie jede Form von Liebe, die auf Herrschaft und Unterwürfigkeit basiert. Nur vergisst sie augenblicklich ihre Ideen, als sie sich in die aus dem Arbeitermilieu kommende Karin (Hanna Schygulla) verliebt. Die Jüngere ist zwar bereit, sich kaufen zu lassen, aber ihre Freiheit will sie auf keinen Fall aufgeben. So bleibt ihr letztlich nichts anderes übrig, als Petra zu verlassen. Nach einem Zusammenbruch an ihrem 35. Geburtstag erkennt die Modeschöpferin, dass sie lernen muss, zu lieben, ohne Forderungen zu stellen.
Nach den ersten sehr spröden Filmen, die sich einer konventionellen oder auch nur klassischen Kinoästhetik konsequent entzogen haben, begann Rainer Werner Fassbinder relativ bald mit seiner Suche nach einer Filmsprache, in der sich seine Ideen und die Traditionen des großen Erzählkinos zu einer perfekten Einheit fügen. Bei Die bitteren Tränen der Petra von Kant hat er diese ersehnte Harmonie zum ersten Mal erreicht. Auch wenn das Theaterhafte des Projekts - der Film verlässt den Raum, in dem Petra arbeitet und schläft, liebt und herrscht, praktisch nicht, und auch die ursprüngliche Akteinteilung ist noch genau zu erkennen - ganz im Vordergrund steht, war Fassbinder mit keinem anderen Film, vielleicht einmal abgesehen von Lili Marleen, Hollywood so nah wie hier.
Die Geschichte der Modeschöpferin, die von einer anderen, gleichberechtigten Liebe träumt und doch die Fehler ihres Mannes wiederholt, ist Fassbinders Version eines der amerikanischen Woman's Films, der Frauenfilme der 40er- und 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Wie George Cukor, Joseph Mankiewicz und Douglas Sirk porträtiert er nicht nur das Schicksal einer Frau, die sich im gleichen Maße selbst zerstört, wie sie von anderen zerstört wird, er seziert zugleich die gesellschaftlichen Bedingungen, die den Niedergang seiner Heldin unvermeidlich machen. In der bürgerlichen Welt, deren Gefangene Petra von Kant ist - sie scheint ihre Wohnung nie zu verlassen -, wird Liebe immer einem Besitzverhältnis gleichkommen. Diese wahrhaft bittere Erkenntnis präsentiert uns Fassbinder hier in so kunstvollen wie künstlichen Bildkompositionen, deren betörende Schönheit nie von Margit Carstensens grandioser Charakterstudie ablenkt, ihr ganz im Gegenteil sogar noch eine größere Intensität verleiht. -Sascha Westphal

Wie auch immer man zu der großen DVD-Edition der Filme von Rainer Werner Fassbinder steht - zumindest die Lösung, immer vier Titel mit der gleichen Bonus-Disc herauszubringen, ist nicht ideal - eines muss man ihr auf jeden Fall lassen: Man kann die Filme nun endlich in einer Bildqualität sehen, die keinen Zweifel an ihrer oftmals atemberaubenden Schönheit lässt. So ist auch bei Die bitteren Tränen der Petra von Kant, einem der elegantesten Filme der deutschen Kinogeschichte, der Bildtransfer wieder vorbildlich. Michael Ballhaus' grandiose Bildkompositionen erstrahlen in ihrem vollen Glanz. In ihrer Detailgenauigkeit, ihrer Schärfe und Farbbrillanz wird jede Einstellung zu einem Gemälde aus Licht, in dem man regelrecht versinken kann. Auch die 2.0-Version der Original-Monotonspur lässt nichts zu wünschen übrig. An Specials bietet die Disc der Doppel-DVD leider nur eine kleine Bildergalerie mit alten Aushangfotos, die für die Edition typischen eingesprochenen Biografien und ein etwa elf Minuten langes Interview mit Irm Hermann, das 1992 im Zuge der Berliner Fassbinder-Retro entstanden ist.
Die Bonus-DVD wartet mit zwei echten Fundstücken auf. Zum einen findet sich auf ihr Fassbinders erster erhaltener Kurzfilm Der Stadtstreicher; und zum anderen kann man hier mit Julianne Lorenz' selten gezeigter Dokumentation Life, Love & Celluloid. A Journey and a Film Retrospective eine wahre Entdeckung machen. Der 1966 entstandene Kurzfilm ist Fassbinders Hommage an Eric Rohmer und damit vielleicht der französischste seiner Filme. Man spürt hier eine Nähe Fassbinders zu den anderen jungen Münchner Regisseuren seiner Zeit, zu Rudolf Thome und Marran Gosov, die in seinen späteren Filmen kaum mehr wahrzunehmen ist. Zugleich rückt er schon hier einen Außenseiter ins Zentrum seines Kinos und führt den Zuschauer mit dessen Odyssee durch ein kaltes, abweisendes München in das Universum ein, das er dann in seinen späteren Spielfilmen immer weiter ausbaut.
Der zirka 90 Minuten lange, aber ungeheuer kurzweilige Dokumentarfilm Life, Love & Celluloid ist 1997 im Zuge der kompletten Fassbinder-Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art entstanden und eröffnet noch einmal eine ganz andere, internationalere Sicht auf Rainer Werner Fassbinder und sein Werk. In Gesprächen mit Schauspielern, Kuratoren, Filmwissenschaftlern und Emigranten entwirft die langjährige Fassbinder-Mitarbeiterin Juliane Lorenz ein Bild von unserer heutigen Filmlandschaft, in der Fassbinders viel zu früher Tod eine Lücke hinterlassen hat, die immer noch nicht geschlossen werden konnte. -Sascha Westphal