Satansbraten

Kurt Raab, Margit Carstensen, Helen Vita

DVD
Ausgabe vom 4. September 2002
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EAN/ISBN: 4020974149600
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Satansbraten - Kurt Raab, Margit Carstensen, Helen Vita
Bei der Uraufführung im Jahr 1976 wurde Satansbraten, Rainer Werner Fassbinders Groteske über die finanziellen wie die sexuellen Nöte eines Dichters, vor allem als Provokation wahrgenommen. Man gab sich schockiert von der wüsten, kolportagehaften Geschichte und ihrer nicht minder radikalen Umsetzung und sah in beidem nichts als eine egomanische Übertretung jeglicher Grenzen des (guten) Geschmacks. Auch heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, hat Fassbinders schonungslose Demontage des bundesrepublikanischen Kunst- und Kulturbetriebs der 70er-Jahre nichts von ihrer Intensität verloren. Nur ermöglicht die zeitliche Distanz einen anderen Blick, in dem die spontane Entrüstung einem tieferen Verständnis weicht. Fassbinder mag damals von sich und seiner eigenen Situation in Deutschland besessen gewesen sein, aber er ist sich dieser Besessenheit durchaus bewusst und hat ihr seinen vielleicht komödiantischsten Film abgerungen.
In den Jahren des Aufbruchs hat man Walter Kranz (Kurt Raab) als Dichter der Revolution gefeiert, doch 1968 ist Mitte der 70er-Jahre weit weg, viel weiter als die reinen Jahreszahlen vermuten ließen. Seit geraumer Zeit leidet er nun schon an einer Schreibblockade; seine Mittel werden immer knapper; seine Gönnerinnen und Bewunderinnen gehen auf Distanz; und zu Hause hat er mit den Forderungen seiner Frau (Helen Vita) und den Ticks seines zurückgebliebenen Bruders (Volker Spengler) zu kämpfen. Nachdem er ein Gedicht geschrieben hat, das exakt Stefan Georges "Der Albatross" entspricht, steigert er sich in die Idee hinein, ein Wiedergänger Georges zu sein. Kranz versammelt nach dessen Vorbild einen "Kreis" um sich, nur muss er dessen Teilnehmer bezahlen und leistet damit seinem Niedergang weiteren Vorschub.
Walter Kranz ist - auch wie ihn Kurt Raab in einer beispiellosen schauspielerischen Tour de Force verkörpert - eine Art von Monster. Dieser kleine, korpulente Mann will die Menschen um sich herum nur manipulieren und beherrschen. Er spielt mit ihnen und hasst sie. Nur seine Eigenliebe ist noch größer als seine Verachtung für die anderen; zugleich genießt er nichts mehr als Erniedrigungen. In seinem Weg vom Idol der revolutionären Linken zu einem misanthropischen Propheten des zivilisatorischen Verfalls der menschlichen Gesellschaft, der ihn in die Nähe der rechten Dichter und Denker der 20er-Jahre rückt, spiegelt sich für Fassbinder der Weg, den die Bundesrepublik nach 1968 genommen hat.
Man spürt Fassbinders Verbitterung und Verzweiflung angesichts einer Gesellschaft, die nichts aus ihrer eigenen Geschichte gelernt hat, die verdammt zu sein scheint, ihre Fehler immer und immer wieder zu wiederholen. Statt zu resignieren und wie Kranz einfach nur zu hassen, reagiert er auf seine düstere Wahrnehmung der deutschen Wirklichkeit mit beißendem Humor. In den bizarren Überzeichnungen offenbart sich aber nicht nur Fassbinders Bild vom faschistischen Typus, das er in den folgenden Jahren in Filmen wie Bolwieser und Despair ? Eine Reise ins Licht noch weiter ausgeführt hat; sie geben ihm auch den Raum für einige seiner atemberaubendsten visuellen Kompositionen. Manchmal wirkt Satansbraten wie eine Vorstudie zu seinem elegantesten Film Lili Marleen. In diesen Momenten von überirdischer Schönheit offenbaren sich eine geradezu unerhörte Zärtlichkeit und Sentimentalität unterhalb der grotesken Oberfläche. In ihnen liegt eine künstlerische und menschliche Größe, die den ursprünglichen, von Unverständnis und Wut geprägten Reaktionen auf Satansbraten jede Basis nimmt. -Sascha Westphal

Die neue, für die DVD erstellte Abtastung des Films gleicht einer Offenbarung. Die leuchtenden Farben und die atemberaubende Schärfe der Bilder lenken den Blick des Zuschauers hier verstärkt auf Fassbinders Ästhetik, deren subtile Schönheit in einem faszinierenden Kontrast zu der äußerst drastischen Geschichte steht, die Satansbraten erzählt. Durch den erstklassigen Transfer nimmt man den unglaublich wütenden und verzweifelten Film noch einmal ganz anders wahr. Es offenbaren sich bezaubernde Nuancen und eine poetische Grundstimmung, die einen dieses Zeitdokument als zeitloses Kunstwerk wahrnehmen lassen.
An Extras bietet die erste Disc nur den Original-Trailer, eine Reihe von Aushangfotos und ein paar eingesprochene Biografien. Diese sind - und das gilt auch für die anderen Titel der Fassbinder-Collection - sehr ausführlich und in der Regel recht informativ. Die Biografien sind wie immer mit einigen Szenen aus dem Film unterlegt. Diese an sich sehr nette Idee, die die sonst doch eher steifen Text-Specials etwas auflockert, hat nur den einen Nachteil, dass die Schrift die Bilder so sehr überlagert, dass man kaum etwas von ihnen wahrnehmen kann.
Die Bonus-DVD wartet mit zwei echten Fundstücken auf. Zum einen findet sich auf ihr Fassbinders erster erhaltener Kurzfilm Der Stadtstreicher; zum anderen kann man hier mit Juliane Lorenz' selten gezeigter Dokumentation Life, Love & Celluloid. A Journey and a Film Retrospective eine wahre Entdeckung machen. Der 1966 entstandene Kurzfilm ist Fassbinders Hommage an Eric Rohmer und damit vielleicht der französischste seiner Filme. Man spürt hier eine Nähe Fassbinders zu den anderen jungen Münchner Regisseuren seiner Zeit, zu Rudolf Thome und Marran Gosov, die in seinen späteren Filmen kaum mehr wahrzunehmen ist. Zugleich rückt er schon hier einen Außenseiter ins Zentrum seines Kinos und führt den Zuschauer mit dessen Odyssee durch ein kaltes, abweisendes München in das Universum ein, das er dann in seinen späteren Spielfilmen immer weiter ausbaut.
Der zirka 90 Minuten lange, aber ungeheuer kurzweilige Dokumentarfilm Life, Love & Celluloid ist 1997 im Zuge der kompletten Fassbinder-Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art entstanden und eröffnet noch einmal eine ganz andere, internationalere Sicht auf Rainer Werner Fassbinder und sein Werk. In Gesprächen mit Schauspielern, Kuratoren, Filmwissenschaftlern und Emigranten entwirft die langjährige Fassbinder-Mitarbeiterin Juliane Lorenz ein Bild von unserer heutigen Filmlandschaft, in der Fassbinders viel zu früher Tod eine Lücke hinterlassen hat, die immer noch nicht geschlossen werden konnte. -Sascha Westphal