Munich

Musik-CD, Audio CD
Ausgabe vom 27. Januar 2006
Verkaufsrang: 114709 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 0602498791424
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Munich -
Dramatisch, melancholisch, actionreich und - bei den gesungenen Stücken - sogar mit folkloristischer Nuance. Das ist John Williams überwiegend düstere, meist orchestrale Musik zu Steven Spielbergs "packender Psycho-Studie" (Focus) über die palästinensischen Terror-Attentate auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München. Der sehr kontrovers diskutierte Film, welcher sich im Kern um die Sinnlosigkeit des Teufelskreises von Gewalt dreht und "den Betrachter in den Strudel der Ambivalenz zieht" (Spiegel), reicht jedoch nicht ganz an das Meisterwerk Schindlers Liste heran. Gleiches gilt für den sehr guten Score, der den Hörer zwar in ein Wechselbad der Emotionen stürzt, aber nicht so viele erstklassige, gefühlvolle Musik-Themen wie sein Konkurrent besitzt!
Laut Spielberg, selbst jüdischen Glaubens, war es sein "wichtigster Film seit Schindlers Liste" (O-Ton). Die 164-minütige Rekonstruktion der "Schlimmsten Nacht der Bundesrepublik" (Die Zeit) vom 5. September 1972, zu dem der wegen seines fragwürdigen Wahrheitsgehaltes umstrittene Tatsachenroman Die Rache ist unser - Ein israelisches Geheimkommando im Einsatz von George Jonas Buch und dessen Kronzeugen Ex-Agent Juval Aviv die Vorlage bildete, ist als Mix aus Psycho- und Polit-Thriller konstruiert. Obwohl "er brav alle Argumente abarbeitet, die sich im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt ergeben, als wolle er bloß keine Gefühle verletzen" (TV Spielfilm), wird Spielberg wegen des ambitionierten Ergebnisses wahlweise als "Verräter der Sache Israels" oder "blinder Pazifist" und wegen des "Gleichsetzen von Terror und Vergeltung" angegriffen. Nichts davon trifft zu, denn der Erfolgsregisseur inszenierte, eigenen Worten gemäß, vielmehr "Ein Gebet für den Frieden", das allerdings extrem blutgetränkt ausgefallen ist! "Die Allegorie der Gültigkeit von Vergeltung" (so Hanns Zischler, der einen der fünf Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad verkörpert) musikalisch zu vertonen, lag in John Williams Händen. Gleich Spielberg, mit dem er schon unter anderem bei Schindlers Liste zusammengearbeitet hat, verzichtet Williams bei seinen 18 Kompositionen darauf, in der Übergewichtung einer Seite politisch Stellung zu beziehen. So spiegelt Lisbeth Scotts arabisch inspirierter Gesang während der herausragenden "Munich, 1972" und "Remembering Munich" zwar die palästinensische Kultur wider, wenig später aber transferiert Williams das Thema für die Streicher der Hollywood Symphony und repräsentiert so die Israelis. Deren Nationalhymne ist dann wiederum in "Hatikvah (The Hope)" integriert. Herzstück des Score ist für Spielberg, schreibt er im Booklet, das schwermütige "A Prayer For Peace".
Es gibt diverse herausragende Momente bei dieser Filmmusik, doch die 62 Minuten 46 Sekunden bewegen den Zuhörer nicht so wie der Schindlers Liste-Score. Dass diesmal nicht alle Themen erstklassig sind, ist ein Grund. Ein anderer: Obwohl traurigen Momenten auch zuversichtliche gegenüberstehen, wird der alles beeinflussende Gesamteindruck doch von Spielbergs unausgesprochener Feststellung geprägt, dass Friede zwischen Israelis und Palästinensern wohl nur unter außergewöhnlichen Umständen erreicht werden wird.
"Jede Zivilisation muss in Extremfällen Kompromisse mit ihren eigenen Wertvorstellungen eingehen", sagt die damalige israelische Ministerpräsidentin Golda Meir als Auftraggeberin des Rachefeldzuges ihres Geheimdienstes gegen jene Terroristen, welche das München-Massaker geplant und durchgeführt hatten, in Spielbergs Film. Weil er mit der letzten Einstellung das (1972 noch intakte) World Trade Center zeigt, den Blick auch auf die Gegenwart und Amerikas Feldzug gegen den islamistischen Terror lenkt, hat das Thema dieser Kino-Produktion eine viel größere Dimension als die der cineastisch aufbereiteten Geschichtsdokumentation. Genau deshalb stellte ?Der Spiegel' über seine Titelgeschichte "Die Moral der Rache" von Heft 4/2006 die Kopfzeile "Dürfen Demokraten Terroristen töten?". Aber auf komplexe Fragen wie diese gibt es, wenn überhaupt, keine simple Antwort! Thomas Hammerl