Die verlorenen Söhne: Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes

Necla Kelek

Taschenbuch
Ausgabe vom 1. Oktober 2007
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EAN/ISBN: 9783442154364
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Die verlorenen Söhne: Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes - Necla Kelek
Hätte eine Deutsche dieses Buch verfasst, von "archaischer Stammeskultur" und dem mangelnden Selbstbewusstein der Deutschen gesprochen, die den Zugewanderten keine klaren Regeln vorgeben, dann hätte es sicherlich einen Aufschrei gegeben - fremdenfeindlich und rassistisch wäre die Autorin genannt worden.
Nun ist die Verfasserin des Buches türkischstämmig, kennt die Welt jenseits des Bosporus genauso gut wie die Migrantenmilieus in bundesdeutschen Großstädten und verfügt auch noch über das Handwerkszeug empirischer Sozialforschung. Nachdem ihr Buch Die fremde Braut das System der Zwangsehe anprangerte, nimmt Sie jetzt die Väter, Söhne und Brüder ins Visier. Sie geht einzelnen Biografien nach, die im Osten Anatoliens beginnen und mitunter in einem deutschen Gefängnis enden. Sie erzählt die Geschichte von PKK-Aktivisten, Zuhältern und ganz normalen Familienvätern, von starren Gesetzen und einer vorgegebenen Männerrolle, aus der die meisten türkisch-muslimischen Männer nicht herausfinden. In dieser Welt zählen Respekt, Ehre und Schande; und Kelek hat die Mehmets und Yilmaz' interviewt, die für diese Werte töteten, schlugen und zerstörten.
Dabei macht Kelek von Anfang an klar, dass die porträtierten Männer nicht nur Täter, sondern ebenso Opfer eines Systems sind, das die Integration in einem Land wie Deutschland verhindert und nach aufgeklärtem Verständnis normale Familienbeziehungen unmöglich macht. Nicht zuletzt hat sie dieses Buch aus der realistischen Einsicht heraus geschrieben, dass die Emanzipation der türkisch-muslimischen Frauen nicht ohne ein Umdenken der Männer möglich ist.
Man kann Keleks Eindruck nur bestätigen, dass die deutsche Gesellschaft dem unbekannten Wesen "türkischstämmiger Mann" hilflos gegenübersteht. Sie gibt hier einen biografischen Einblick, der vieles verständlicher macht, aber nichts entschuldigt. Ihr Ziel, die Unmündigkeit innerhalb einer von Männern definierten, traditionellen Welt zu überwinden, ehrt sie. Man möchte nur hoffen, dass das Buch nicht von denjenigen instrumentalisiert wird, die schon immer "wussten", wie "rückständig" die Türken im Grunde sind. -Henrik Flor