Kokolores

Marianne Rosenberg

Buch, Gebunden
Ausgabe vom 2006
Verkaufsrang: 134436 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 9783471785867
ASIN: 3471785868 (Amazon-Bestellnummer)
Kokolores - Marianne Rosenberg
Nebelhafte Erinnerungsfetzen eröffnen das Buch. Nächte in verrauchten Berliner Kaschemmen, die offenbar alle "Engelhardt" heißen, bis die ahnungslose kleine Gina bemerkt, dass es sich um eine Zigarettenreklame handelt. Buletten und Soleier unter Glas. Der ewig betrunkene Vater, der seine Tochter auf den Tisch hebt, um sie "Jiddische Mamme" singen zu lassen, ein wehmütiges Lied, das den Gästen - vermutlich Holocaust-Überlebende -, die Tränen in die Augen treibt. Starke und düstere Impressionen aus einem Nachkriegsdeutschland, in dem die Täter von einst längst wieder an den Hebeln saßen. Erneut misstrauisch beäugt, eine alteingesessene Berliner Sintifamilie. Die Rosenbergs. Oder, was von ihnen übriggeblieben war!
Klingt so der zuckersüße Lebensbericht einer fast schon kultig verehrten Schlagersängerin? Nein! Eher feinherb. Bitter zuweilen. Marianne Rosenberg - die sechsjährige Gina auf dem Tisch -. trägt das schwere Gepäck einer Kindheitserinnerung, über der der Schatten der Nazis lastet. Die Zwangseinweisung der Familie ins Lager Marzahn kurz vor der Olympiade 1936, nur der erste Schlag gegen die Berliner Sinti, wie sie später erfuhr. Vater Rosenberg, den die Amerikaner 18-jährig aus Auschwitz befreiten, war einer der wenigen aus der Familie, die überlebten. Traumatisiert für immer. Marianne Rosenberg wurde geprägt vom frühen Wissen, als "Zigeuner" ewige Außenseiter zu sein.
Keine Bange, auch der deutsche Schlager kommt zu seinem Recht. Und doch - so zwingend die Bilder von Tod und neuerlichem Überlebenskampf, so heftig gestaltet sich der Bruch in die seicht-skurrile Welt von "Hitparade", Disco" und Co. Nicht ohne Ironie blickt die Sängerin auf ihren langen Marsch vom Schlagersternchen, das mit Piepsstimme "Mr. Paul McCartney" trällerte, zur nachtschwarzen Grande Dame, die mit Rio Reiser eine musikalische Liaison pflegte und ? in der damaligen Branche verdächtig genug -, bald in Schwulenkreisen als hip galt. Längst vergessene Schlagerleichen pflasterten ihren Weg, eine fast wehmütige Leseerfahrung. Bis zu diesem Buch gab sie ihre Familiengeschichte nie preis, blieb eine exotische Randerscheinung, stolz, distanziert beobachtend - und stets im Bewusstsein, dass aller Erfolg "Kokolores" ist im Vergleich dazu, was das Leben an wirklichen Untiefen bereithalten kann. Hut ab vor Marianne Rosenberg! ?Ravi Unger