Ich habe sie geliebt

Anna Gavalda

Buch, Broschiert
Ausgabe vom 20. Oktober 2004
Verkaufsrang: 5864 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 9783596158034
ASIN: 3596158036 (Amazon-Bestellnummer)
Ich habe sie geliebt - Anna Gavalda
Früher haben sich Cloé und ihr Mann so vorsichtig wie möglich geliebt. Denn das Bettgestell hatte entsetzlich geknarrt, und morgens am Frühstückstisch wusste jeder Bescheid. Danach legte das Paar die Matratze vom Bett auf den Boden. "Wir hatten unsere Lektion gelernt", heißt es im ebenso schmalen wie gelungenen Roman der französischen Autorin Anna Gavalda: "Und liebten uns so diskret wie möglich."
Etwas zu diskret vielleicht, denn nachdem die zwei Töchter Lucie und Marion geboren wurden, kommt die Liebe der beiden plötzlich abhanden. Eines Tages steht Cloé allein da mit den Kindern, und ausgerechnet der mürrische Schwiegervater Pierre nimmt sich der verlassenen Gruppe an. Gemeinsam fahren die vier in ein Landhaus, und hier offenbart der schweigsame Pierre, unter dessen Tyrannei sein Sohn Zeit seines Lebens litt und der der Icherzählerin Cloé immer wie ein einsiedlerischer "Marsmensch" erschienen war, der jungen Frau die Geschichte seiner großen Liebe, die mit Schuld, Versagen und verpasstem Glück zu tun hat: "Mein Leben ist wie eine geschlossene Faust", gesteht ihr Pierre. Und in ihrem Beisein gelingt es ihm, diese Faust - wenn auch nur für einen kleinen Augenblick, erzählend - zu öffnen.
Leise und fast in der Form knapper Prosagedichte entfaltet Gavalda ihre unspektakuläre Geschichte - wie ein kleines Kammerspiel, in dem die Liebe immer wieder auch als eine existenzielle Krankheit erscheint. Ich habe sie geliebt ist ein präzises, lakonisches, überzeugendes und anrührendes schmales Bändchen geworden, dem man möglichst viele Leser wünscht. -Stefan Kellerer

Verlassen oder Verlassenwerden ist ein alltägliches Thema. Der intensive Dialog von zwei Betroffenen ? eine Frau und ein Mann aus unterschiedlichen Generationen ? zeigt, dass Liebe kein Geschenk ist. Ohne Larmoyanz, mit echtem Humor, wird hier von den Wendepunkten im Leben erzählt. Zärtlich und im richtigen Ton.
Adrien hat Chloé und die beiden Töchter verlassen. Pierre, der nicht sehr geliebte Schwiegervater ? Chloé siezt ihn noch immer ? schafft es, die Schwiegertochter mit den Kindern auf sein Landhaus zu bringen. Aufgelöst in Enttäuschung, Wut, Verzweiflung und Angst, wie es weitergehen soll, richten sich Chloés Gefühle zuerst gegen den verhassten Kotzbrocken Pierre. Er dominierte seinen Sohn, er kennt keine Gefühle und ist immer beherrscht. Doch dann hört sie etwas, was sie aus ihrem Schmerz hervorholt. Etwas so Unglaubliches, dass sie die Geschichte unbedingt zu Ende hören will: Pierre hatte mit Anfang 40 die Liebe seines Lebens kennen gelernt, es damals aber nicht gewagt, Suzanne, seine Frau, zu verlassen. Pierre, der Rationalist, hatte die für seine Begriffe wahnsinnigsten Dinge getan. Dinge, die man jedem anderen, aber nicht ihm zutrauen kann. Allerdings ist er den Weg seiner Liebe nicht zu Ende gegangen, ist bei seinem pubertierenden Sohn und seiner Frau geblieben. Nobel, aber teuer: Pierre hat das Glück, das da war, vorbeiziehen lassen, weil ihm der Mut fehlte. Und weil das Abfinden so bequem ist. Hier schließt sich die Frage an: Ist es besser dem anderen weh zu tun oder sich selbst? Dem anderen natürlich, aber dazu braucht man etwas mehr Mut.  
Seit ihrem Überraschungserfolg "Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand auf mich wartet" von 1999 gilt Anna Gavalda als vielversprechende Autorin. Die ausgebildete Lehrerin und Mutter von zwei Kindern leistet sich trotzdem die Unabhängigkeit und zieht es vor, einzig in dem kleinen, aber feinen Verlag "Le Dilettante" zu veröffentlichen.
Das minimalistisch inszenierte Hörspiel lebt von dem verdichteten und intensiven Aufeinanderprallen der beiden Protagonisten Chloé und Pierre. Die traurig-intime Atmosphäre wird durch das Akkordeon noch verstärkt. Dabei treffen die messerscharfen Dialoge mit einfachen Worten und ohne Schnörkel ins Schwarze. Aber Chloé und Pierre tragen das Ganze trotz aller Härte mit einem gewissen Humor. Jele Brückner vermittelt die Stimmungslage Chloés sehr glaubwürdig, vor allem in ihren Inneren Monologen. Ihr Gegenspieler, der Schwiegervater Pierre, überrascht mit seinen Bekenntnissen. Friedhelm Ptok meistert die Gratwanderung seiner Rolle perfekt. Nie gleitet er in Sentimentalität oder Koketterie ab. Schlicht, aber beeindruckend ist sein Plädoyer für den täglichen Kampf um die Liebe. Eine Produktion des WDR. Hörspiel, Spieldauer: ca. 65 Minuten, 1 MC. Mit Booklet. Auch als CD erhältlich. - culture.text