Königs Erläuterungen und Materialien, Bd.428, Fräulein Else

Arthur Schnitzler

Buch, Taschenbuch
Ausgabe vom 1. Juni 2009
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Königs Erläuterungen und Materialien, Bd.428, Fräulein Else - Arthur Schnitzler
Was gibt es Besseres beim Lesen, als einer literarischen Figur ganz nah zu sein? In ihre Haut zu schlüpfen, sie ganz und gar zu verstehen; das denken, was sie denkt, das fühlen, was sie fühlt. Eins werden mit der Person. Arthur Schnitzler war einer der ersten, denen mit der Technik des inneren Monologs genau dies gelang. Zuerst in Leutnant Gustl 1900, dann in Fräulein Else 1924. Zwei sehr unterschiedliche Figuren werden hier dargestellt, mit zwei völlig verschiedenen Lebens- und Gefühlswelten. Der junge Offizier, der von einem nicht satisfaktionsfähigen Bäckermeister beleidigt wird und sich deshalb, obwohl niemand den Vorfall mitbekommen hat, nach dem Ehrenkodex der Armee erschießen müßte, durchleidet eine Nacht der Todesangst -- bis er morgens erfährt, daß jener Bäckermeister einem Schlaganfall erlegen ist. Dann die junge Anwaltstochter Else, die von ihrer Mutter gebeten wird, den Vater aus einer Schuldenmisere zu befreien und einen befreundeten Kunsthändler um das Geld zu bitten; als dieser seine finanzielle Hilfe aber unter die Bedingung stellt, Else nackt sehen zu dürfen, verzweifelt sie an den moralischen Konflikten, entblößt sich im Musikzimmer des Hotels und nimmt eine Überdosis Veronal. Das Lesen der beiden Novellen ist wie ein Sog. Man wird immer weiter hineingezogen in die Seelenzustände von Gustl und Else, in ihre Verwirrung, Assoziationen, Erinnerungen. Und man leidet mit ihnen in diesen extremen Grenzsituationen. Am Ende findet man nur schwer zurück in die eigene Welt. Denn das Ich der Personen macht Schnitzler so erlebbar und plastisch, wie kaum ein anderer deutschsprachiger Erzähler dies vermochte. --Lilli Belek

Wort und Stimme pur, kein Schnickschnack, keine Spezialeffekte ? Senta Bergers Lesung ihrer Lieblingsnovelle von Schnitzler ist ein Meisterstück an Interpretation: ein unwiderstehliches Erleben der bewegten Stunden des Fräulein Else; voller Intensität und Empathie, ganze 85 Minuten! ?Fräulein Else? erschien 1924 und kann neben ?Lieutenant Gustl? als wegweisend für die Erzähltechnik des Inneren Monologs bezeichnet werden. Alles, was passiert, wird konsequent in der Innensicht einer Person dargestellt. In der Novelle ?Fräulein Else? steigert der Autor Schritt für Schritt Elses inneren Kampf, der zwischen Scham und Aufopferungsbereitschaft schwankt. Der Inhalt in Kürze: Die 19-jährige Else erhält in den Ferien in einem italienischen Kurort einen Brief von ihrer Mutter, der alles ändert. Else soll den Kunsthändler Dorsday, einen Freund der Familie, um Hilfe bitten. Anfangs handelt es sich um 30.000 Gulden, die Elses Vater veruntreut hat. Nur Else kann die Familie vor dem finanziellen und gesellschaftlichen Ruin retten. Dorsday ist einverstanden, unter der Bedingung, sie eine Viertelstunde nackt anschauen zu dürfen. Das Psychodrama nimmt seinen tödlichen Lauf. ?Fräulein Else? ist ein exemplarisches Werk Arthur Schnitzlers. Der Arzt hat sich früh mit den Schriften Sigmund Freuds auseinander gesetzt und das Unterbewusste (z.B. auch in der ?Traumnovelle) dargestellt. Gesellschaftskritisch hat er die Zwänge der bürgerlichen Gesellschaft, vor allem die allgemeine Verunsicherung nach dem Untergang der k. u. k.- Monarchie und dem Ende des 1. Weltkriegs beschrieben. Wenn Arthur Schnitzler ?Fräulein Else? eindeutig vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der k. u. k.- Gesellschaft positioniert hat, dann beweist Senta Berger, die gebürtige Wienerin, die uneingeschränkte Zeitlosigkeit der Novelle. Verlogene Doppelmoral gibt es heute wie damals, Stimmungsschwankungen zwischen abgehobenen Träumen und Verzweiflung an der Realität, Hin- und Hergerissensein zwischen Aufbegehren und pflichterfüllter Aufopferung sind beileibe nicht an die 20er Jahre des vergangen Jahrhunderts gebunden. Für die Verzweiflung, in die dieser fatale, aussichtslose Kampf führen kann, hat Schnitzler mit dem sprachlichen Mittel des Inneren Monologs einen perfekten Ausdruck gefunden. Und Senta Berger hat mit ihrer Interpretation die entsprechend perfekte Tonlage kreiert. Dabei spielt es keinerlei Rolle, dass man ihrer Stimme anhört, dass sie keine 19 Jahre ist. Was zählt ist ihr unglaubliches Einfühlungsvermögen, das sie mit Disziplin bis zum bitteren Ende durchhält. Senta Berger lebt die überspannte, bürgerliche Tochter mit ihren vagen erotischen Träumen. Sie atmet das Kokettieren mit dem Tod wie mit der Liebe aus. Elses Überforderung durch die für sie zu stark beladenen Eindrücke strömen aus jeder Äußerung, jedem Satz. Sie beherrscht die Töne ihrer Protagonistin bis ins Kleinste. Hinzu kommt die Wandlungsfähigkeit ihrer Stimme, was die anderen Figuren angeht. Senta Berger spricht den Hotelportier genauso überzeugend wie die Tante, Paul so authentisch wie Cissy und kann sogar in die Rolle des Lebemanns Dorsday glaubwürdig schlüpfen. Alles geht ihr virtuos und schnell von der Zunge. Leicht gekürzte Lesung, Spieldauer: ca. 85 Minuten, 2 CDs. Mit Booklet. -- culture.text