SZ-Bibliothek Metropolen Band 1: Cosmopolis

Don DeLillo

Buch, Gebunden
Ausgabe vom 23. April 2010
Verkaufsrang: 300048 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 9783866157842
ASIN: 3866157843 (Amazon-Bestellnummer)
SZ-Bibliothek Metropolen Band 1: Cosmopolis - Don DeLillo
Kein guter Tag, um sich die Haare schneiden zu lassen: Der Weg zu Eric Packers Lieblingsfriseur ist zwar nicht allzu beschwerlich, besonders wenn man in einer komfortablen Stretchlimosine unterwegs ist, aber die 47. Straße führt nun mal quer durch Manhattan, und das Herz von New York steht an diesem Frühlingstag im April 2000 kurz vor dem totalen Kollaps. Der amerikanische Präsident ist in der Stadt, gewalttätige Globalisierungsgegner demonstrieren und der Sufi-Rapper Brutha Fez wird unter großer Anteilnahme seiner Anhänger zu Grabe getragen. Mitten durch dieses postmoderne Pandämonium schleicht Packer mit seinen Leibwächtern und Sicherheitsbeamten, seiner Frau, seiner Liebhaberin, und seinem Leibarzt im Schritttempo voran, ohne wirklich vorwärts zu kommen.
Eric Packer ist unermesslich reich, ein gewissenloser Spekulant der New Economy, dessen Blick auf die Wirklichkeit durch Spy-Kameras und Börsennachrichten distanziert und zynisch geworden ist. Während das Leben im Inneren seiner rollenden Festung zum Fernsehbild gerinnt, träumt Packer von hartem Sex, philosophiert über digitale Medien, geilt sich an riskanten Termingeschäften mit dem japanischen Yen auf und lässt sich seine "asymmetrische" Prostata untersuchen. Am Ende des Tages schließlich verliert Packer nicht nur das Geschäft seines Lebens, sondern kommt selbst zu Tode - ein finaler Akt der sinnlosen Gewalt, der in dieser Geschichte ebenso banal wie logisch erscheint.
Don DeLillos Roman wirft einen schonungslosen Blick ins Innere der aufgeheizten Geldkultur und des hemmungslosen Spekulantentums der neuen Märkte am Beginn des 20. Jahrhundert. Mit virtuellen Valutaverschiebungen werden Milliarden gescheffelt und Finanzimperien für einen Tag aufgebaut, um im nächsten Moment zu kollabieren und dabei ganze Volkswirtschaften in den Abgrund zu reißen. Nach seinem epischen Großwerk Unterwelt und der eher lyrischen Skizze Körperzeit legt DeLillo mit Cosmopolis eine irritierend bösartige Vignette amerikanischer Gegenwartskultur vor, die radikal entlarvend und zugleich wider Willen faszinierend wirkt; ja trotz der Exzesse Packers bisweilen sogar komisch. -Peter Schneck

Düster, trost- und beziehungslos, dekadent und Schrecken einflößend - Cosmopolis entwirft das Bild eines nihilistischen Zynikers, eines 28-jährigen Börsenspekulanten, der sich an einem Tag im Jahr 2000 mit seiner weißen Stretchlimo quer durch New York chauffieren lässt. Grund: Er will sich die Haare schneiden lassen. Weder der in der Stadt weilende Präsident, noch die Globalisierungsgegner, nicht einmal eine persönliche Morddrohung können ihn davon abbringen. Erst als der Yen sinkt, gerät auch sein Leben ins Wanken. Eric Packer ist der Ingebegriff eines kaputten, identitätslosen Menschen, der alles hat, Reichtum und Macht, der seinen Geist mit Gedichten, die er nach Zeilen auswählt, füttert. Darüber hinaus repräsentiert er den Zusammenbruch der New Economy und der Börsen, verkörpert eine Gesellschaft, in der das Cyberkapital den Menschen beherrscht.
Zumindest in der Wahrnehmung des Protagonisten passiert relativ wenig: weder die Blockierung durch der Globalisierungsgegner, noch der Mensch, der sich selbst verbrennt, auch nicht die Beerdigung eines Rappers - nichts von allem rührt Eric Packer wirklich an. Gelangweilt schwebt er in seiner Limousine durch die Stadt, trifft eine Geliebte, seine Frau, tötet seinen Sicherheitschef? und scheint für einen kurzen Moment bei dem Frisör, der ihn schon als Kind die Haare schnitt, Ruhe zu finden. Aber eben nur wenige Minuten, dann macht er sich auf den Weg zu seinem Mörder, der ihm seinen Ikarus-Sturz prophezeit. Als gefühlskalter Technokrat begegnet Eric Packer seinen Mitmenschen grundsätzlich mit der Überzeugung, sie hätten nur eine Existenzberechtigung, sofern sie in seinem Leben etwas auslösen können.
Neben der Sozial- beherrscht die Sprachkritik den Roman. Wörter wie "Computer", "Telefon", "Walkie-Talkie" oder "Palm Organizer" werden hier als anachronistisch gebrandmarkt. Ohne Zweifel liefert der Roman ein ziemlich realistisches Abbild unserer Gesellschaft und ortet ihn durch die allgegenwärtige Kommunikationstechnologie samt Markennamen unverkennbar im Jahr 2000. Sein sich langweilender Protagonist könnte aber genauso gut ein Bruder von Huysmans Adligem Des Esseintes in "A rebours" sein, der sich gänzlich aus der Realität zurückzieht. Beider Leben könnte man künstlich nennen.
Don DeLillo ist einer der bedeutendsten amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart. 1971 erschien sein erster Roman Americana. Es folgten: Die Namen (1982), Sieben Sekunden (1991), Unterwelt (1997), Bluthunde (2000), Körperzeit (2001) und Cosmopolis (2003). Don DeLillo wurde mit dem National Book Award und dem Faulkner Award geehrt.
Christian Brückner holt aus dieser erdrückenden Bestandsaufnahme alles raus: Seine Stimme entspricht dem "kühlen" Sound genauso wie den harten Schnitten dieser Stationen durch Manhattan. Die zahllosen zynischen Reflexionen klingen bei ihm gleichermaßen echt wie die Passagen, die sich durch pausenlose Aktion auszeichnen. Dennoch klingt die Geschichte oft konstruiert und erinnert an ein Thesenstück. Ohne Zweifel muss man sich in diesen Roman erst einstimmen.
Ungekürzte Lesung, Spieldauer: ca. 358 Minuten, 4 CD. -culture.text