Crösus

Jacobs, Roeschmann, Guera, Akamus

Musik-CD, Audio CD
Ausgabe vom 12. Oktober 2000
Verkaufsrang: 21537 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 0794881611720
ASIN: B00004ZD64 (Amazon-Bestellnummer)
Crösus - Jacobs, Roeschmann, Guera, Akamus
CROESUS

Schon wieder eine Barockoper - muss ich die ganz anhören? Und von Reinhard Keiser. Hat der nicht diese langweilige Markuspassion geschrieben? Solche Gedanken schießen dem Rezensenten durch den Kopf angesichts dreier CDs, die ein barockes Bühnenwerk namens Croesus enthalten. Hinein mit der CD: Nach einer recht gewöhnlichen Ouvertüre folgt die erste Szene. Der sagenhaft reiche Lydierkönig Croesus, der tatsächlich im 5. Jahrhundert vor Christus gelebt hat, und der Philosoph und athenische Gesetzgeber Solon stehen sich gegenüber. Croesus glaubt sich aufgrund seiner unermesslichen Schätze absolut sicher und unverwundbar; Solon verspottet den Reichtum und weist ihn auf die Vergänglichkeit alles irdischen Gutes hin.
Kompositorisch und interpretatorisch ist dieser rezitativische Wortwechsel perfekt gestaltet. Roman Trekel als Croesus überzeugt vom ersten Ton an, und der Bassist Kwangchul Youn (seine Partie, ursprünglich für Tenor gedacht, wurde von René Jacobs wohlbegründet und erfolgreich transkribiert) ist nicht weniger beeindruckend.
Augenblicklich ist die Aufmerksamkeit geweckt. Die Überraschungen sind noch nicht zu Ende: Die Vermessenheit des Croesus und sein unvermeidliches Unterliegen gegen die Perser bilden nur die Rahmenhandlung. In der Folge wird eine tragikomische Kette von Liebesbeziehungen entrollt (nicht verzagen: ein Diagramm von René Jacobs im Beiheft macht sie auf einen Blick verständlich!), in deren Zentrum Croesus' zunächst stummer Sohn Atis und die Prinzessin Elmira stehen. Wenn Atis auch erst im Krieg plötzlich sprechen lernt, bleibt er selbst auf der CD von Anfang an nicht konturlos. Sein glänzendes Aussehen und seine Wirkung spiegelt sich in der verzückten, rasenden Arie der Elmira wieder, die von Dorothea Röschmann charaktervoll und technisch untadelig verkörpert wird. Gleich darauf glaubt man im mit Pausen durchsetzten Gesang Elmiras sogar die Antworten des Atis zu vernehmen.
Solche musikalischen Meisterleistungen gibt es zuhauf in dieser ausgesprochen kurzweiligen und interessanten Oper, die nebenbei auch ein Stück deutscher Operngeschichte, das sich zwischen 1678 und 1738 in Hamburg zugetragen hat, beleuchtet: Damals wurde in Form einer Mischung ernsthafter und komischer Elemente ein wirksamer, origineller Gegenpol geschaffen zur italienischen Seria-Oper. René Jacobs und sein hervorragendes Ensemble - unter den Sängern gibt es kaum "Ausreißer" - erwecken das barocke Prachtstück mit stupender vokaler und instrumentaler Brillanz zum Leben. Man nehme sich Zeit dafür: Auch beim Rezensenten lief der CD-Spieler, bis der letzte Ton verklungen war. -Michael Wersin