Wir Heben Ab

Ben Becker

Musik-CD, Audio CD
Ausgabe vom 27. August 2001
Verkaufsrang: 10119 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 0743218738128
ASIN: B00005ND0W (Amazon-Bestellnummer)
Wir Heben Ab - Ben Becker
WIR HEBEN AB

Dekadenz goes Größenwahn. Mit diesen Worten lässt sich die neue CD Wir Heben Ab von Ben Becker & The Zero Tolerance Band wohl am ehesten charakterisieren. Doch Hut ab: Zwiespältigkeit hat bislang noch selten für Langeweile gesorgt, so auch in diesem Fall: Bereits das CD-Cover erzeugt gemischte Gefühle bei gleichzeitiger Neugier darauf, was sich hinter dem Porträt Beckers wohl verbergen mag. Eine androgyne Erscheinung mit glattrasierten, gepuderten Gesichtszügen und blasiert-provozierendem Blick kokettiert mit der körperlichen Versehrtheit eines Mannes, der abheben wollte und dabei nur eine Bruchlandung zustande brachte: Der zerfetzte weiße Frack gibt den Blick frei auf eine obszön anmutende Wunde am Oberarm, die verbundene Hand mit Totenkopfring zur Faust geballt, signalisiert: Meine Blessuren trage ich stolz wie eine Trophäe. Morbider Charme im Stile Oscar Wildes oder peinliche Macho-Pose?
Bis auf einen Titel von David Bowie stammen die restlichen zehn aus der Feder von Ben Becker, komponiert und arrangiert von den Filmmusikkomponisten Ulrik Spies und Jacki Engelken, die sich zwar gleichzeitig als solide Instrumentalisten zeigen, jedoch in musikalischer Hinsicht nichts aufregend Neues zu bieten haben. Doch Dank Ben Becker gestaltet sich der Einstieg in das Album furios wie der verheißungsvolle Beginn eines großen Spielfilms im Kopfkino, wenn seine sonore Stimme anhebt zu singen: "Ihr wisst nicht, mit was ihr es zu tun habt", wie in dem Stück "Moloch". Der Titel "Wir Heben Ab", der dem Album seinen Namen gab, setzt mit seiner subversiven Message diese starke Linie fort. Es ist nicht zu überhören: Ben Becker ist fasziniert von der Vorstellung des Fliegens in allen Variationen, in Bombern, als Engel, auf Drogen oder in melancholischen Erinnerungen. Wie ein roter Faden zieht sich dieses Thema durch seine Texte, deren sprachliche Raffinesse bei gleichzeitiger Klarheit dafür sorgen, dass das Konzept größtenteils aufgeht. Wo dies nicht der Fall ist, droht Peinlichkeit durch Verherrlichung und Verklärung einer humorlosen, eitlen Männerwelt, bestehend aus Kampffliegern ("Morgen bin ich da, morgen bin ich hier"), Hells Angels ("Dann wüsste ich was Liebe ist") und dem streunenden Steppenwolf ("Ich bin glücklich wenn ich einsam bin"). Vielleicht aber gehört es gerade zu der Stärke Beckers, nicht vor derartigen Klischees zurückzuschrecken, wie zum Beispiel in dem Titel "Legion", in dem er seine Stimme einer resoluten alten Dame in einem Altenheim leiht, die ihre Zeit in der Fremdenlegion Revue passieren lässt. Hier ist man - ähnlich wie beim Betrachten des Covers - hin- und hergerissen zwischen Amüsement und Abwinken: Ob er das wohl ernst meint?
Mit seinem Album Wir Heben Ab hat Ben Becker & The Zero Tolerance Band vieles riskiert, wovor die meisten anderen Künstler von vornherein zurückscheuen. In den Pop-Olymp sind sie damit nicht aufgestiegen, doch ihr Anspruch nach Authentizität und Musik voller Poesie bleibt während des gesamten Albums über präsent und schon das allein macht das Anhören dieser CD überaus lohnenswert. -Andreas Schultz