Der Stellvertreter

Ulrich Tukur, Mathieu Kassovitz, Ulrich Mühe

DVD
Ausgabe vom 2. April 2003
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EAN/ISBN: 4010324021076
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Der Stellvertreter - Ulrich Tukur, Mathieu Kassovitz, Ulrich Mühe
Der gläubige Familienvater Kurt Gerstein Ulrich Tukur ist als Leiter der Desinfektionsabteilung beim Hygiene-Institut der Waffen SS für die Versorgung der Konzentrationslager mit dem Gas Zyklon B verantwortlich. Als er auf einer seiner Dienstreisen nach Polen in einem Lager Augenzeuge des Genozids wird, wird ihm klar, dass es nicht wie der Großteil der deutschen Bevölkerung wegsehen kann. In der Überzeugung, ein "Aufstand der Aufrechten" könnte die Judenvernichtung stoppen - schon längst rattern Viehwaggons mit ihrer menschlichen Fracht unerbittlich gen Osten - kontaktiert er hochrangige Personen der evangelischen Kirche und Vertreter anderer Staaten, um die Welt aufmerksam zu machen. Doch seine couragierten Versuche, die Gräuel der Nazis publik zu machen, stoßen auf eine Mauer der Ignoranz, auf Grund seiner SS-Mitgliedschaft werden seine Berichte nicht ernst genommen. Gerstein beschließt, den Papst als höchste moralische Instanz über die Judenvernichtung durch die Deutschen zu informieren...

Die Zeiten, in denen Rolf Hochhuths "christliches Trauerspiel" Der Stellvertreter noch - wie damals, 1962, bei seiner Uraufführung - einen Skandal und große Diskussionen ausgelöst hat, sind lange vorbei. Wir wissen vom Schweigen des Papstes und der hohen Kurie angesichts des Holocausts. Die Wut und die Entrüstung, die vor 40 Jahren Christen auf der ganzen Welt empfunden haben, sind anderen, gedämpfteren Gefühlen gewichen, vielleicht sogar einer gewissen resignativen Gleichgültigkeit. Gerade deshalb kommt Costa-Gavras' Filmadaption des Stückes nun genau zur rechten Zeit. Sie wirkt dem Vergessen und der Verdrängung entgegen und profitiert zugleich von der nicht mehr ganz so erhitzten Sicht auf die von Hochhuth akribisch genau dargestellten Ereignisse.
Rolf Hochhuth war in der Wahl seiner Mittel nicht gerade sehr subtil, nichts sollte die Botschaft seines Trauerspiels verdecken. Und so setzt auch Costa-Gavras auf deutliche Zeichen. Immer wieder zeigt er die Züge, die Hunderte von Menschen in die Todesfabriken von Auschwitz bringen und dann wieder leer zurückfahren, um die nächsten zu holen. Vor dem Hintergrund dieser nicht abreißenden Transporte bekommen die Bemühungen des deutschen Chemikers und Offiziers der Waffen-SS Kurt Gerstein (Ulrich Tukur) und des italienischen Jesuitenpaters Riccardo Fontana (Mathieu Kassovitz) um eine Intervention des Vatikans, nicht nur eine ungeheuere Dringlichkeit. Sie sind einfach selbstverständlich, und man kann kaum begreifen, wie Papst Pius XII. (Marcel Iures) und seine Berater aus diplomatischen Erwägungen heraus die Augen verschließen konnten.
Aber bei aller politischen und historischen Eindringlichkeit ist Der Stellvertreter doch viel mehr als nur eine filmische Geschichtslektion. Die konkreten Ereignisse sind der Hintergrund, vor dem Costa-Gavras die zu jeder Zeit gültigen Dramen und Tragödien von Kurt Gerstein, Riccardo Fontana und dem namenlos bleibenden Doktor (Ulrich Mühe), der die Todesmaschinerie im Osten überwacht, ausbreitet. Der Christ Gerstein, der die Qualität des Zyklon B kontrolliert, kämpft gleich auf mehreren Ebenen gegen die Vernichtung der Juden an. Dafür bleibt ihm nur ein Weg: Er muss in seiner Position bei der Waffen-SS verharren und so selbst Tag für Tag schuldig werden. Die Schuld, die er auf sich lädt, zerreißt Gerstein innerlich fast, und man spürt, die auf ihm liegende Last in jedem Blick, in jeder Geste Ulrich Tukurs. Sein Porträt des Widerständlers, der doch Teil des Systems ist, wird man so schnell nicht wieder vergessen. Und auch Mathieu Kassovitz und Ulrich Mühe überzeugen durch ihre eindringliche Darstellung des idealistischen Geistlichen und des zynischen Opportunisten. In Hochhuths Tragödie ist der "Doktor" eine Figur, die man verabscheut. Ulrich Mühe verwandelt ihn in einen vielschichtigen Charakter, den man letztlich nicht einmal hassen kann. -Sascha Westphal