Liebe ist kälter als der Tod

Ulli Lommel, Hanna Schygulla

DVD
Ausgabe vom 4. September 2002
Verkaufsrang: 37949 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 4020974149587
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Liebe ist kälter als der Tod - Ulli Lommel, Hanna Schygulla
Liebe ist kälter als der Tod - es wird wohl in der ganzen Filmgeschichte kein zweites Spielfilmdebüt geben, dessen Titel so programmatisch für das gesamte noch folgende Werk seines Regisseurs ist wie dieser. Mit ihm hat Rainer Werner Fassbinder auf eine geradezu prophetische Weise die zentrale Idee wie auch - und das ist letztlich noch entscheidender, denn Ideen können alleine keinen Film tragen - die zentrale Beobachtung seines ganzen künstlerischen Schaffens auf den Punkt gebracht. Aber es ist nicht nur der Titel, der uns eine Art von Generalschlüssel zur Hand gibt, mit dem sich nahezu alle Türen in Fassbinders ?uvre, das in seinem Aufbau und Entstehungsprozess tatsächlich einem Haus gleichkommt, öffnen lassen. Dieser erste Gangsterfilm ist in jeder Hinsicht der Grundstein eines in 13 Jahren exzessiver Produktivität entstandenen Lebenswerks.
Wie in beinahe allen seinen Filmen erzählt Rainer Werner Fassbinder auch in Liebe ist kälter als der Tod eine klassische Kinogeschichte von Liebe und Verrat, Eifersucht und Gewalt. Die Prostituierte Joanna (Hanna Schygulla) liebt den kleinen Gangster und Zuhälter Franz (Rainer Werner Fassbinder). Franz geht seine Unabhängigkeit über alles, und so hat er selbst nach mehreren Tagen der Gefangenschaft und Folter das Angebot des "Syndikats" ausgeschlagen, das ihn zu einem Teil seiner Organisation machen will. Schließlich setzen die Bosse Bruno (Ulli Lommel) auf Franz an. Zwischen den beiden entwickelt sich eine nie ausgesprochene Liebesbeziehung, die in einem gemeinsamen Bankraub gipfelt. Um Franz vor dem Killer Bruno zu retten, verrät Joanna die beiden an die Polizei.
Diese Zusammenfassung des Geschehens erweckt den Eindruck, als sei Liebe ist kälter als der Tod ein Action-Film, vergleichbar mit Klaus Lemkes 48 Stunden bis Acapulco oder Rudolf Thomes Detektive, zwei etwa zur selben Zeit entstandene Münchner Genre-Experimente. Doch Fassbinders Debüt trennen Welten von diesen beiden Filmen genauso wie von seinen amerikanischen und französischen Vorbildern. Er löst die Handlung in einer Reihe von nahezu unverbunden nebeneinander stehenden Tableaus auf. Der Zuschauer kann sich hier nicht von den Ereignissen mitreißen lassen; er muss selbst die Verbindungen herstellen, die zwischen ihnen bestehen könnten. So wird Liebe ist kälter als der Tod zum Porträt einer Gesellschaft, die den Menschen systematisch zerstört. Fassbinders Figuren besitzen keine Sprache für ihre Gefühle. Sie können ihre Empfindungen, ihre Liebe und ihre Sehnsucht, nur in Form von Gewalt und Verrat artikulieren und verletzen sich damit selbst am stärksten. In äußerst spröden, aber auch ungeheuer schönen Bildern fängt Fassbinder die Kälte der bürgerlichen Gesellschaft ein, deren erdrückende Organisationsprinzipien selbst die Welt der Outlaws bestimmen. -Sascha Westphal

Anders als die meisten Fassbinder-Filme, die vom Fernsehen in der Regel in einer eher mäßigen Qualität ausgestrahlt werden, war Liebe ist kälter als der Tod zuletzt in einer überraschend guten Bildqualität zu sehen. Doch auch diese Ausstrahlung kann in keiner Hinsicht mit dem anamorphotischen 16:9-Transfer der DVD konkurrieren. Selbst wenn man Liebe ist kälter als der Tod schon das eine oder andere Mal gesehen hat, ist man aufgrund des erstklassigen Transfers des Films überrascht, wie professionell und perfekt Fassbinders unter ziemlich chaotischen Bedingungen entstandenes Debüt doch in seinen Bildkompositionen ist. Man nimmt hier Feinheiten wahr, die einem bisher leicht entgehen konnten.
Auch was die Specials betrifft, lässt die DVD kaum etwas zu wünschen übrig (außer vielleicht einen Audiokommentar). Der Original-Trailer, die Bildergalerie mit Aushangfotos und die eingesprochenen Biografien sind ja schon Standard. Aber darüber hinaus bietet die DVD noch ein etwa 5-minütiges Statement von Irm Hermann, das 1992 während einer der Podiumsdiskussionen im Rahmen der Berliner Fassbinder-Retrospektive aufgezeichnet worden ist und viel über deren ambivalentes Verhältnis zu ihrem "Erschaffer" verrät. Doch der Höhepunkt der Special Features ist die kleine von Robert Fischer gedrehte Dokumentation Du liebst mich sowieso!, in der Hanna Schygulla und Ulli Lommel höchst unterhaltsam von den Dreharbeiten zu Fassbinders Debüt erzählen.
Die Bonus-DVD wartet mit zwei echten Fundstücken auf. Zum einen findet sich auf ihr Fassbinders erster erhaltener Kurzfilm Der Stadtstreicher; zum anderen kann man hier mit Juliane Lorenz' selten gezeigter Dokumentation Life, Love & Celluloid. A Journey and a Film Retrospective eine wahre Entdeckung machen. Der 1966 entstandene Kurzfilm ist Fassbinders Hommage an Eric Rohmer und damit vielleicht der französischste seiner Filme. Man spürt hier eine Nähe Fassbinders zu den anderen jungen Münchner Regisseuren seiner Zeit, zu Rudolf Thome und Marran Gosov, die in seinen späteren Filmen kaum mehr wahrzunehmen ist. Zugleich rückt er schon hier einen Außenseiter ins Zentrum seines Kinos und führt den Zuschauer mit dessen Odyssee durch ein kaltes, abweisendes München in das Universum ein, das er dann in seinen späteren Spielfilmen immer weiter ausbaut.
Der zirka 90 Minuten lange, aber ungeheuer kurzweilige Dokumentarfilm Life, Love & Celluloid ist 1997 im Zuge der kompletten Fassbinder-Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art entstanden und eröffnet noch einmal eine ganz andere, viel internationalere Sicht auf Rainer Werner Fassbinder und sein Werk. In Gesprächen mit Schauspielern, Kuratoren, Filmwissenschaftlern und Emigranten entwirft die langjährige Fassbinder-Mitarbeiterin Juliane Lorenz ein Bild von unserer heutigen Filmlandschaft, in der Fassbinders viel zu früher Tod eine Lücke hinterlassen hat, die immer noch nicht geschlossen werden konnte. -Sascha Westphal