Herr Lehmann

Christian Ulmen, Katja Danowski, Detlev Buck

DVD
Ausgabe vom 15. April 2004
Verkaufsrang: 715 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 5050582233834
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Herr Lehmann - Christian Ulmen, Katja Danowski, Detlev Buck
Berlin, 1989, kurz vor dem Mauerfall Der Bezirk Kreuzberg 36 ist eine kleine, isolierte Welt für sich - schon angrenzende Viertel gelten seinen Bewohnern als Ausland, ganz zu schweigen von Ost-Berlin, mit dem man hier Rücken an Rücken wohnt. Hier lebt Herr Lehmann - in einem schrägen Mikrokosmos voller Künstler und Philosophen, Heteros und Schwuler, Säufer und Kokser... Herr Lehmann heisst eigentlich Frank, aber weil er schon fast 30 ist, nennen ihn alle nur Herr Lehmann. Und während sich im Osten der Stadt weltverändernde Umbrüche anbahnen, schleicht sich Unruhe in Herrn Lehmanns Privatleben Die Eltern drohen mit Besuch, ein Hund drängt sich auf, eine schöne Köchin stiftet Vewirrung, kurz das Auf und Ab des Alltags nimmt bedenkliche Ausmasse an...

Während Sonnenallee, Leander Haußmanns liebevoll-ironische Annäherung an das Leben in Ost-Berlin, beinahe im Handumdrehen Kultstatus erlangt hat, ist sein zweiter Film, das genauso liebenswürdig-schrullige Kreuzberg-Panorama Herr Lehmann, relativ schnell wieder aus den Kinos verschwunden. Dabei verdient diese Verfilmung von Sven Regeners Roman durchaus die gleiche Aufmerksamkeit, die seinerzeit Haußmanns Debüt zuteil geworden ist. Zumal sich beide Produktionen perfekt ergänzen. Aber wie in den ersten Jahren nach dem Fall der Mauer, scheint auch heute das Interesse an Geschichten aus der DDR weitaus größer zu sein als an Reflexionen über die alte Bundesrepublik.
Wenn Herr Lehmann (Christian Ulmen) etwas hasst, dann ist es dieser merkwürdige Brauch, dass man ihn zwar mit "Herr Lehmann" anspricht, aber im gleichen Atemzug duzt. Das geht natürlich genau genommen überhaupt nicht zusammen, nur passt es irgendwie dann doch wieder zu ihm. Er, der vor Jahren nach West-Berlin gekommen ist, um dem Wehrdienst zu entfliehen, und nun im "Einfall" in der Wiener Straße in Kreuzberg hinterm Tresen steht, ist seit langem eine feste Größe in der Szene, trotzdem hat man das Gefühl, dass er nicht ganz dazu gehört. Hinter der Fassade zur Schau gestellter Lässigkeit, hinter dem so offensichtlichen Desinteresse, mit dem er der Welt jenseits von Kreuzberg begegnet, verbirgt sich etwas, von dem Herr Lehmann selbst keine klare Vorstellung hat. Aber es sind nur noch wenige Wochen bis zu seinem 30. Geburtstag, einem Datum, das gleich einem Damokles-Schwert über seinem Kopf hängt. Und als wäre das nicht schon genug, muss er sich gerade jetzt in die "schöne Köchin" Katrin (Katja Danowski) verlieben.
Herr Lehmann hat eine wundervolle impressionistische Qualität. Die von Regener ersonnene Handlung tritt immer wieder in den Hintergrund. Ihre vordringliche Aufgabe ist es, all die kleinen Momente und Szenen zusammenzuhalten, in denen Haußmann die Atmosphäre und das Lebensgefühl heraufbeschwört, die dieses seltsame soziale Biotop Kreuzberg in den Tagen, Monaten und Jahren vor dem Mauerfall so einzigartig gemacht haben. Die nächtlichen Gespräche zwischen Herrn Lehmann, seinem Freund Karl (Detlev Buck) und all den anderen sich dem Leben verweigernden Existenzen, die in dieser abgeschlossenen Welt im (Wind-)Schatten der Mauer Zuflucht gesucht haben, sind meist völlig absurd und zugleich unglaublich poetisch. Haußmann inszeniert sie mit einem untrüglichen Gefühl für Sprache und ihren Klang. Seine Cinemascope-Bilder nutzen auf spektakuläre Weise die ganze Breite des Formats, ohne je von den Dialogen abzulenken.
Haußmanns Film gleicht einem eingängigen, aber auch recht exzentrischen Popsong. Insofern hätte Regener, der Kopf der Band Element of Crime, keinen besseren Regisseur für die Verfilmung seines Romans finden können. Wie er, der Musiker und Romancier, ist sich auch der Theater- und Filmemacher Haußmann der Macht des Pops ganz genau bewusst. Ein Lied oder auch ein Film können uns in eine fremde, beinahe märchenhafte Welt entführen und uns verzaubern, um uns schließlich wieder mit offeneren Augen in die Realität zu entlassen. So ist es auch bei Herr Lehmann. Wie seine Helden verweigert auch der Film den Blick über Kreuzberg hinaus. Das mag einen zunächst verwundern, doch wenn schließlich auch im Film die Mauer fällt und die große Historie Einzug in die kleine Geschichte hält, ahnt man, dass Leander Haußmann hier der Wahrheit über das Leben in der alten BRD nähergekommen ist, als man es je für möglich gehalten hätte. -Sascha Westphal