Cyberpunk Double Feature: Tetsuo & Electric Dragon 80.000 Volt

DVD
Ausgabe vom 19. September 2005
Verkaufsrang: 45867 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 4260017060169
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Cyberpunk Double Feature: Tetsuo & Electric Dragon 80.000 Volt -
Ende der 80er Jahre befand sich das japanische Kino in einer kreativen Krise. In dieser allenthalben als Stillstand empfundenen Phase tauchte plötzlich ein kleiner, grobkörniger s/w-Film eines jungen, unbekannten Regisseurs auf. Shinya Tsukamotos Tetsuo ist Energie pur, eine kinematografische "Tour de Force", die auch heute noch verblüfft. Der Film umkreist zwar erzählerisch die Verwandlung seiner Figuren in eine groteske hybride Form irgendwo zwischen Mensch und Maschine, ist jedoch vor allen Dingen eine atemberaubende audiovisuelle Erfahrung. Dazu passt denn auch der ennervierende Soundtrack von Chu Ishikawa und die expressive, übersteigerte Verwendung von Sound Effekten.
Man hat Tetsuo wegen seines visuellen Stils häufig mit David Lynchs Frühwerk Eraserhead verglichen, doch beim genaueren Hinsehen kann man eine Reihe auffälliger Einflüsse entdecken. Die Verwendung expressionistischer Close-ups kennt man aus dem klassischen japanischen Horrorfilm und der exzessive Einsatz von stop-motion Techniken erinnert an Jan Svankmayers Animationen. Das Design des "Iron Man" hätte auch von H.R. Giger stammen können und inhaltlich liegt der Gedanke von Mutation auch den vielfältigen, enorm erfolgreichen japanischen Monsterfilmen zugrunde (Man denke nur an Godzilla). Über allem jedoch steht die inhaltliche Nähe zu den Filmen des Kanadiers David Cronenberg. Sowohl Tsukamoto als auch Cronenberg beschäftigen sich mit der Fragilität des meschlichen Körpers und finden in der Sexualität einen Auslöser für die mannigfaltigen Mutationen in ihren Filmen. Tetsuo ist daher nicht nur als ziemlich einzigartiger Solitär in der Filmlandschaft bemerkenswert, sondern auch als Startpunkt einer konsequenten künstlerischen Vision.
Electric Dragon wiederum markiert für seinen Regisseur Sogo Ishii die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln. Bereits Anfang der 80er Jahre hatte Ishii mit ein paar radikalen Streifen seinen kompromisslosen, anarchisch-epischen Stil geprägt. In Electric Dragon entführt er den gewillten Zuschauer in einen 55-minütigen, von ohrenbetäubendem industrial punk/noise begleiteten Wahnsinn, nach dem man seine verbliebenen Gehirnzellen mühsam vom Boden auflesen muss. Auf s/w-Material auf den Dächern und in den engen Gassen Tokyos gedreht, geht es um zwei Typen, die sich gegenseitig umbringen wollen. In Superheldenmanier nutzen sie jegliche Energiequellen wie Trafostationen, Elektrokabel, -stecker oder ?stühle um sich aufzuladen und den Gegner auf die denkbar spektakulärste Weise zu zerstören.
Nicht nur kommerziell betrachtet ein durchaus gewagtes Unterfangen, dass ohne Einschränkungen dem notorisch risikofreudigen Produzenten Takenori Sento und dessen Firma "Suncent" zu verdanken ist. Dazu kommt der Wille zum kruden Castingexperiment, brutal gegen den Strich. Beide Hauptdarsteller lösen beim jugendlichen, vormals weiblichen Publikum asienweit Schreikrämpfe aus. Man stelle sich meinetwegen Benno Führmann und Till Schweiger in vergleichbaren Rollen vor. Oder vielleicht lieber doch nicht. -Thomas Reuthebuch