Kapitulation

Tocotronic

Musik-CD, Audio CD
Ausgabe vom 6. Juli 2007
Verkaufsrang: 3667 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 0602517350861
ASIN: B000R7HYXM (Amazon-Bestellnummer)
Kapitulation - Tocotronic
KAPITULATION

Uff! Eine Platte Kapitulation zu nennen, das ist schon mutig. Vor allem nach den vierzehn Jahren, die die Ende 93 in Hamburg gegründeten Tocotronic nun schon dabei sind. Vor allem aber nach der großen Enttäuschung Pure Vernunft darf niemals siegen. Auf dem kommerziell erstaunlich erfolgreichen Album hauten die Tocos mit "Aber hier Leben, nein danke" zwar wieder einen ihrer typischen Slogan raus, ansonsten quälen sie einen doch mit rätselhaften, mythischen Texten und schwacher Musik. Damals wie auch diesmal gingen die zum Quartett angewachsenen Tocotronic mit dem Produzenten Moses Schneider (Beatsteaks) in Berlin ins Studio. Man scheint sich richtig eingegroovt zu haben, denn wie gut diese Platte schon nach ein paar Sekunden tut, die mit dem polternden "Mein Ruin" nicht besser eröffnet hätte werden können. Den verschwurbelten Fantasy-Wald des Vorgängers haben Tocotronic verlassen, jetzt wird zu konkrete Texten gerockt, und so gelöst klang die Gruppe um Sänger und Songschreiber Dirk von Lowtzow noch nie.
Der totale Kontrast zum Titel Kapitulation, dem überragenden Werk ihrer Karriere, das den harten Momenten immer wieder eine intime Zartheit ("Wir sind viele", "Harmonie ist eine Strategie") gegenüber stellt. Geblieben ist die vertraute Nein-Sager-Haltung, die Oppositionsrolle, in die sich Tocotronic begeben. Es herrscht zwar gute Laune im Land, das vor kurzem noch in Jammertränen ersaufen zu schien. Nichts gegen Aufschwung und Stimmungshoch, aber ist der Preis wie Dauerdruck im Beruf, Verlust der Selbstfindung, angepasstes Funktionieren, der Zerfall einer Solidargemeinschaft in immer gleichgültigere Einzelteile, eine sich ausbreitende Ängstlichkeit allem Fremden gegenüber nicht viel zu hoch? Alles keine Gründe für eine Kapitulation, aber mindestens Grund zum Insichkehren und Luftholen. Oder wie es in "Luft" heißt: "Ja, ich habe heute nichts gemacht. Ja meine Arbeit ist vollbracht".
-Sven Niechziol