In Love

Juli

Musik-CD, Audio CD
Ausgabe vom 17. September 2010
Verkaufsrang: 144 (je kleiner desto beliebter)
EAN/ISBN: 0602527492834
ASIN: B003Y5KVWA (Amazon-Bestellnummer)
In Love - Juli
Nicht jede Band verkraftet einen Mega-Erfolg so unbeschadet wie Juli. An ihrem Song "Perfekte Welle" aus dem Jahr 2004 müssen sich Eva Briegel (Gesang), Simon Triebel und Jonas Pfetzing (beide Gitarre), sowie Dedi Herde (Bass) und Marcel Römer (Schlagzeug) bis heute messen lassen, -mit Erfolg, wie ihr neues Album In Love beweist.
Dass es erst nach rund vierjähriger schöpferischer Pause erscheinen konnte, liegt nicht zuletzt an dem Wunsch Karriere und Familie in Einklang zu bringen. Im Fall von Eva Briegel ist das gleich in doppelter Hinsicht gelungen, nämlich durch Geburt ihrer kleinen Tochter Yoko im Frühling dieses Jahres und nun durch die 12 Songs, die sie und ihre Mitmusiker uns zu Gehör bringen. Allen voran der Titel "Jessica", der die Band auf der Höhe ihrer Kunst zeigt, und zwar sowohl des Arrangements aus dezenter Elektronik und akustischen Instrumenten wegen, als auch des Textes. Er vereint die Melancholie über geplatzte Träume, den mühsamen Versuch Gesicht (und Gewicht) in einem harten Business zu wahren und die Hoffnung doch noch mal ganz nach oben zu kommen mit dem bestürzenden Resümee "Und irgendwann fällt Dir ein, Du wolltest irgendetwas sein..." Songzeilen, die in ihrer messerscharfen Beobachtung und textlichen Zuspitzung an Lindenberg, Hagen und Meinecke erinnern. Über dieses Kompliment darf sich hier Gitarrist Jonas Pfetzing freuen, auf dessen Konto der Text von "Jessica" geht, während alle anderen Stücke des Albums hauptsächlich aus der Feder von Eva Briegel und Simon Triebel stammen. In Love bietet inhaltlich wie musikalisch einen höchst vielseitigen Querschnitt. Während "Elektrisches Gefühl" als Dancefloor-Ohrwurm und potentielle Hit-Single ins Rennen geht, appellieren Songs wie "Eisenherz", "Du lügst so schön" und "Ich bin in Love (Paris)" eher an romantische Gefühle. Und wenn Eva Briegel "Alle sind in Paris, nur ich bin in Love" singt, beweist sie, dass sie sich sogar in den Gefilden des klassischen Chansons souverän zu bewegen vermag! - Andreas Schultz

Vor sechs Jahren hat eine junge Band aus Gießen mit ihrem Debut-Album Es ist JULI und einem Song namens "Perfekte Welle" vorgeführt, dass Pop hierzulande auch dann mehrheitsfähig ist, wenn er sich mehr erlaubt, als über einer Klangtapete aus Kirmestechno oder Baukasten-R&B wahlweise weibliche Rundungen respektive die ewige Liebe zu preisen.
Die Band nannte sich JULI und "Perfekte Welle" war frischer, mitreißender Gitarrenpop, wie man ihn Deutschland bis dato eigentlich fast nur in den Indie-Diskos hören konnte ? und selbst dort in der Regel von britischen Bands.
In den Top Ten der offiziellen deutschen Charts war diese Musik, noch dazu gesungen von einer Frau und mit deutschem Text, bis dahin jedenfalls eher eine Rarität.
In diesem Fall allerdings eine, die Maßstäbe setzte.
Am Erfolg von "Perfekte Welle" sollte künftig nicht nur die Band JULI selbst gemessen werden, sondern so ziemlich alles, was in Deutschland eine Gitarre in der Hand halten konnte. Während die großen Plattenfirmen in der Folge sämtliche Bands mit Sängerin unter Vertrag nahmen, derer sie habhaft werden konnten, und diesen dann ? falls die es nicht ohnehin schon taten ? verordneten, Deutsch zu singen, bewiesen JULI spätestens mit ihrer nächsten Single "Geile Zeit", dass sie die selbst gesetzten Maßstäbe mühelos erfüllten. Als 2006 ihr zweites Album Ein neuer Tag erschien, stieg dieses von null auf eins in den deutschen Albumcharts ein und erreichte bereits am Erstverkaufstag Platinstatus.
Doch Maßstäbe sind dazu da, über den Haufen geworfen zu werden.
2010 sind Eva Briegel (Gesang), Simon Triebel (Gitarre), Jonas Pfetzing (Gitarre), Dedi Herde (Bass) und Marcel Römer (Schlagzeug) zu einer Band gereift, die nicht nur weiß, was sie will, sondern auch weiß, dass es manchmal viel effektiver ist, das eigene Wollen hinten anzustellen und stattdessen einfach mal zu machen. Solange, bis man sämtlichen Erwartungen gerecht wird. Und zwar nicht denen, die Andere an einen stellen, sondern den eigenen. Auch wenn man anfangs vielleicht noch gar keine hat. Klingt widersprüchlich?
Nun, manchmal wird man sich der wahren Erwartungen und Ziele eben erst während des kreativen Prozesses bewusst. Und überhaupt: Widersprüche erzeugen Reibung und durch Reibung entsteht Energie.
Weshalb In Love, das dritte Album von Juli, Widersprüche nicht nur zulässt, sondern sich diese ganz bewusst zu Nutze macht. Auf In Love klingt die Band neu, aufregend anders und doch as JULI as JULI can be. Der Sound mag elektronischer sein, die Texte mögen deutlicher und häufiger als zuvor in der Tradition des Chansons stehen, und doch glänzt bereits die erste Single "Elektrisches Gefühl" mit allem, was einen klassischen JULI-Hit ausmacht: optimistischen Lyrics, bei denen das Licht vor allem deshalb so hell strahlt, weil es aus dem ? in JULI-Texten niemals verschwiegenen ? Schatten heraustritt, einer unwiderstehlichen Hookline und einem gnadenlos mitreißenden Refrain. Doch wo bisher in JULI-Songs gerne die Gitarren dominierten, wird dieser Song in erster Linie von seinem magischen perkussiven Beat getragen. Dass "Elektrisches Gefühl" in Bälde die Tanzflächen sämtlicher Danceclubs, Großraumdiskotheken und Indie-Schuppen in bisher nie gekannter Eintracht zum Beben bringen wird, dürfte außer Frage stehen.
Nicht weniger überschwänglich, treibend und jubilierend ist "Süchtig", eine hypnotische Elektrodisko-Ode ans Verliebtsein, inklusive four-to-the-floor-Kickdrum und treibendem Sequenzerbass.
Doch selbst diese ausgesprochenen Dancetracks, die eine der zwei prägnantesten Facetten von In Love ausmachen, entbehren nie einer gewissen sehnsüchtigen Grundmelancholie. Am allerdeutlichsten wird das bei "Immer wenn es dunkel wird", das, obwohl durchaus auf?s Tanzbein abzielend, den Schmerz nach dem Verlust mit so bewegenden Worten verarbeitet, dass einem mit dem Hemd beim Tanzen auch schon mal die Seele aus dem Hosenbund rutschen kann.
Oh ja, In Love hat durchaus eine dunkle, nachdenkliche Seite: jene zweite der erwähnten Facetten. Eine, die sich eben nicht ausschließlich auf die Balladen beschränkt, wenn sie dort auch besonders zum Tragen kommt. "Eisenherz" etwa steht, was die Lyrics angeht, den berückenden tragischen Liebesliedern von Chansongrößen wie Alexandra oder der Knef in wenig nach. Selten wurden Drama, Pathos und Herzeleid in der deutschen Popmusik mit soviel Eleganz und Feingefühl inszeniert. Was ihr Händchen für strahlende Popmomente angeht, mögen sich JULI absolut treu geblieben sein, wie sehr sich diese Band im Jahre 2010 dennoch von dem unbekümmerten Haufen Jungspunde unterscheidet, der sie vor sechs Jahren vermutlich noch gewesen ist, zeigt vor allem ein Song des Albums auf: "Jessica" ist vielleicht kein prädestinierter Single-Kandidat, aber nichtsdestotrotz der herausragende Track auf In Love, und vermutlich nicht nur dort, sondern in der gesamten bisherigen, an Höhepunkten wahrlich nicht armen Historie dieser Band. Wie Eva Briegel mit den Worten eines halbseidenen Managers oder Produzenten von den schmierigen Schattenseiten des Popzirkus erzählt und dann zum Refrain die Perspektive wechselt, ist einerseits ganz große Storytelling-Kunst und stellt andererseits noch einmal fulminant heraus, worin die beeindruckendsten Qualitäten dieses Albums liegen: in seiner Ambivalenz, seinen Widersprüchen. Die inszenieren JULI, wie es im Moment keine andere deutsche Pop-Band zu tun vermag.